Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
eh?»
Der coole, beiläufige Satz, den Perlmann sich zurechtgelegt hatte, war weg. Es war nur eine Leere da, und in ihr die alte Angst vor Millar. Er tat noch ein Stück Zucker in den Kaffee und rührte um. Er sah die Eistüte im Rinnstein und die smaragdgrünen Ohrringe. Oben wartete die Übersetzung von Leskovs Text auf ihn. Plötzlich war der Satz wieder da. Er hob den Kopf, und es war, als spüre er die versammelten Blicke auf seinem Gesicht wie die Hitze einer Lampe oder das feine Brennen einer salzigen Brise.
«I happened to see it and just picked it up», sagte er. Es klang überhaupt nicht weltläufig, eher verlegen und entschuldigend, und er fürchtete Millars nächste Bemerkung. Da hörte er Laura Sands dunkles, kehliges Lachen.
«Eine Trouvaille eben», sagte sie und warf Millar, während sie die Zigarette ausdrückte, einen ihrer ironischen Blicke zu.
In Millars Gesicht stand eine stumme, hilflose Wut, als er seine Serviette zusammenfaltete. Er war der erste, der sich erhob.
Perlmann nahm die Platte vom Tisch. Sie möchte sie wirklich hören, beteuerte Laura Sand mit einem spöttischen Blick auf Millar, der gerade mit energischen Schritten durch die Tür ging. Perlmann nickte und ging voraus. Auf dem Weg in den Salon fühlte er sich so zerschlagen wie am Ende eines langen Wettkampftages.
Millar kam erst, als die Platte schon lief. Die Wut im Gesicht war einer trotzigen Verschlossenheit gewichen. Mit demonstrativer Langeweile ließ er den Blick durch den ganzen Salon gleiten und stellte ab und zu die Brille ein bißchen schräg, um etwas in der entfernten Ecke besser sehen zu können.
Perlmann hatte das Heftchen zu der Platte in der Hand.«Das war Nummer 902 in G-Dur», sagte er, als das Stück vorbei war.
«Oh, ich kenne das Stück bestens, Phil», sagte Millar süffisant.«Es ist, fürchte ich, die 902a. In G-Dur. »
Perlmann sah ins Heftchen.«Die 902a dauert nur ein Drittel dieser Zeit. Nicht einmal ganz. Sie werden es gleich hören. Denn das ist jetzt das Stück. »
In Millars Gesicht zuckte es, aber er sagte nichts. In der kurzen Pause vor Hannas Geburtstagsstück winkte ihm Perlmann dann mit dem Heftchen zu, deutete mit dem Zeigefinger auf eine Zeile und sagte:«Jetzt. Die 930.»
Millar hob die Brauen, als verstünde er nicht, und fuhr mit der Raumbesichtigung fort.
«Ich sollte CBS auf den Fehler aufmerksam machen», sagte er, als der letzte Ton der Platte verklungen war.«Dabei könnte ich sie auch wissen lassen, daß ich die Aufnahme für wenig gelungen halte. Glenn Gould eben. »
In der Halle dann trat er neben Perlmann.«Haben Sie unsere Verabredung vergessen?»
«Nein», sagte Perlmann und stemmte sich gegen seinen blauen Blick.«Keineswegs.»
Nachher, am Schreibtisch, war ihm sofort wieder klar, wo er seinen Gedankengang vorhin unterbrochen hatte: Gab es für priznavat’ noch eine andere Übersetzung als to acknowledge? Das war wichtig wegen der erfinderischen Komponente, die das erzählerische Erinnern nach Leskov ja hatte. Klänge es nicht sonderbar, von der Anerkennung eigener Erfindungen zu sprechen? Waren es nicht vielmehr Tatsachen, die man anerkannte?
Bevor er nachsah, hielt er inne, um sich über die sonderbare Empfindung klarzuwerden, von der die erneute Konzentration auf Leskovs Text begleitet war. Er war überrascht, wie schnell und mühelos es ihm gelang, den Kampf mit Millar, in den er eben noch verstrickt gewesen war, beiseite zu schieben. So etwas pflegte ihn sonst unvernünftig lange zu beschäftigen, und oftmals mußte man geradezu von einem Verfolgen sprechen. Es war, als sei er mit dem Anblick der kyrillischen Schrift in eine andere Kammer seiner selbst verschwunden und habe die Tür hinter sich zugemacht. Es war wunderbar, hinter dieser Tür zu sein, die ihn gegen alles schützte, was draußen in ihm tobte. Der Gedanke, wie es mit ihm jenseits der Tür weitergehen sollte, und noch jenseits davon in der Außenwelt, ließ sich zwar nicht aussperren; aber er war nur anwesend durch ein schwaches Glimmen im Hintergrund, und man konnte sich daran gewöhnen, sein gelegentliches Aufflackern zu übersehen.
Priznavat’ konnte auch admitting heißen, und priznanie war offenbar das klassische Wort für confession. Perlmann schrieb auch hier alle Möglichkeiten hin. Alle Müdigkeit fiel jetzt von ihm ab; er war dabei, etwas Neues, Aufregendes zu beginnen.
Irgend etwas freilich, eine Äußerlichkeit, fehlte noch, damit alles stimmte. Es dauerte eine Weile, bis er
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