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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Uniformen zu schießen», sagte sie und ballte die Fäuste.
    «Der Staat hat das Gewaltmonopol», warf von Levetzov ein.
    «Ja, eben», sagte Perlmann,«genau deshalb darf man ihm diese Gewalt nicht geben. »
    «Ich will die Sache ja nicht verteidigen», beschwichtigte von Levetzov.
    «Wer die Todesstrafe in Erwägung zieht, leidet unter einer unheilbaren Krankheit: Phantasielosigkeit», sagte Silvestri, der sich wieder in der Gewalt hatte und es vermied, Millar anzusehen.
    Evelyn Mistral legte die Hand auf seinen Arm.«Das haben wir zu Hause auch immer gesagt. Das Beispiel war die Garrotte, die es unter Franco bis zuletzt gab.»
    «Sie glauben wohl, Sie sind der einzige Mensch mit Phantasie», sagte Millar zu Silvestri.«Ich finde das anmaßend. »
    «Es geht mir ähnlich wie Laura», nahm Rüge das Wort,«aber man sollte ehrlich sein: Es gab auch Höss. »
    «Und Eichmann», ergänzte von Levetzov.
    Auch Perlmann war das drüben in der Trattoria durch den Kopf gegangen, und es war ihm unbehaglich gewesen, daß er nicht wußte, was er darüber denken sollte. Als er Millar jetzt nicken sah, entschied sich etwas in ihm.
    «Es hätten die Opfer nach Buenos Aires gehen sollen», hörte er sich sagen,«und nicht der Geheimdienst. Und dort hätten sie ihn niederschießen sollen. Und entsprechend bei Höss.»
    Millar kräuselte die Lippen und sah ihn an.«Ich hätte nicht gedacht, Phil, daß Sie für Lynchjustiz sind. »
    Perlmann hatte das Gefühl zu taumeln.«Dem Töten muß eine persönliche Beziehung zugrunde liegen», sagte er leise und rührte im Kaffee.«Ein Haß auf den Peiniger zum Beispiel. Sonst ist es pervers. »
     
    Trotz der Schlaftablette wachte Perlmann in dieser Nacht zweimal auf und lag lange wach. Er dachte an die schutzlose Leere, die sich nach Millars Bemerkung in ihm ausgebreitet hatte, und an die innere Gewalttätigkeit, die sich in dieser Leere plötzlich Bahn gebrochen hatte. Er dachte immer von neuem an diese beiden Dinge und kannte sich nicht mehr aus mit sich.
    Es war schon gegen Morgen, als er sich in dem runden Zimmer voller Wörterbücher wiederfand. Durch das konische Dach aus Glas fiel ein ruhiges, milchiges Licht. Das Zimmer hatte keine Tür. Er brauchte keine Tür. Es war still. Er war unerreichbar, unberührbar. Es war wunderbar. Da begann sich der Raum um ihn und zugleich auch mit ihm zu drehen. Die Drehungen wurden immer rasanter, die bunten Buchrücken wurden zu farbigen Schlieren, die immer weiter ausblichen, bis sie zu einer hauchdünnen Wand aus hellstem Grau verschmolzen, die nur noch kurze Zeit standhielt, bevor sie unter der unbarmherzigen Glut des Mittags zerfiel und den Blick auf die Bucht freigab, die voller Kinderjauchzen war. Er war hoch oben über der Bucht, aber das machte nichts, er würde einfach hinaustreten ins Licht, es war alles ganz leicht und voller Hoffnung, und es war völlig unbegreiflich, warum er mit dem Kopf gegen eine diamantharte, unsichtbare Wand stieß. Sie ließ sich ertasten, diese sonderbare Wand, aber dann auch wieder nicht, denn der ertastete Widerstand war von einer widerstandslosen Leere nicht zu unterscheiden. Fieberhaft suchte er nach einer Tür, aber die Wand mit ihrer unnachgiebigen Leere ließ seine feuchten Hände erbarmungslos abgleiten, so daß er zu Boden sank und auf einmal spürte, wie das Kissen von seinem tränennassen Gesicht feucht wurde.

13
     
    An den beiden folgenden Tagen versuchte Perlmann, während der Sitzungen in der Veranda möglichst wenig aufzufallen. Wenngleich es schon länger her war, daß er sich mit Grammatiktheorie beschäftigt hatte, waren ihm die Schwierigkeiten der einzelnen Vorschläge doch noch geläufig, und zweimal glückten ihm Einwände, welche die anderen überraschten und beeindruckten, so daß selbst Millar die Brauen hob und widerwillig nickte. Danach konnte er sich jeweils wieder in den Hintergrund zurückfallen lassen.
    Er machte beim Zuhören eine Erfahrung, die ihn, wie ihm jetzt bewußt wurde, schon lange begleitete, die er aber noch nie in so klarer, ausdrücklicher Form hatte vor sich bringen können: Jedesmal, wenn ein neuer Titel fiel, ein Etikett für eine noch andere Theorie genannt wurde, erschrak er, und das komplizierte Fremdwort erschien ihm wie ein Marterwerkzeug, weil sein erster Gedanke stets war: Das kenne ich nicht und sollte es doch kennen. Wenn dann über die Theorie geredet wurde, stellte er regelmäßig fest, daß er sie bis in die Einzelheiten hinein kannte. Eigentlich wußte

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