Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
Vom Netzwerk:
Verständnis aufzubringen? Oder offenbarte ihre Reaktion auf Juans Mitteilung feststehende Grenzen des Verstehens? Der rote Elefant auf dem Koffer: Wofür stand er?
    «Ach, nein», sagte er und rückte eine Blume zurecht,«es ist nur... manchmal denke ich, daß man viel zu wenig ausprobiert, bevor man sich festlegt. Aus Angst wahrscheinlich. Eine Angst, die zum Kerker werden kann. Juan scheint nicht der ängstliche Typ zu sein. »
    «Nein», lachte sie,«ganz im Gegenteil: Manchmal denke ich, er hat die Seele eines Hasardeurs. Ich habe dann Angst um ihn und ärgere mich über seine Unvernunft. Aber im Grunde, glaube ich, liebe ich ihn dafür. »Sie sah auf die Uhr und verschwand im Bad, um sich fürs Abendessen umzuziehen.
    Sie waren schon im Flur, als sie plötzlich stehenblieb und ihn nachdenklich ansah.«Du kommst doch mit zum Essen?»
    Er zögerte und sah sie unsicher an.
    «Es wäre besser», sagte sie leise. Dann faßte sie ihn für einen kurzen Moment um die Taille und schob ein bißchen. «Come on», lachte sie und versuchte, Millars Aussprache zu parodieren, in der ein o wie ein a klang.
     
    Ihre Berührung von vorhin, so kam es ihm vor, schützte ihn, als sie den Speisesaal betraten, und der Schutz hielt an, bis der Kellner die Teller der Vorspeise abräumte. Dann wandte sich Millar abrupt von Laura Sand ab und sah ihn an.
    «Allmählich glaube ich, Sie möchten unsere Verabredung wegen Ihrer Frage lieber vergessen. Oder irre ich mich da?»
    «Ja, das tun Sie», gab Perlmann zurück und war froh, daß er nicht weiterzusprechen brauchte. Die Erwiderung hatte fest geklungen, und es hatte sogar Herausforderung darin gelegen. Aber dem entsprach innen nichts. Innen war plötzlich nur noch eine schutzlose Leere, und da half es nichts, daß Evelyn Mistral neben ihm saß.
    «Oh, I see», sagte Millar und dehnte die letzte Silbe bis ins Groteske.
    Es war dieser melodiöse Sarkasmus, der das Faß zum Überlaufen brachte. Perlmann merkte noch, wie ihm heiß wurde, es streifte ihn flüchtig eine warnende Empfindung, und dann setzte sich der Angriff, der aus dem Nichts zu kommen schien, in ihm unaufhaltsam in Gang.
    «Übrigens, Brian», begann er und neigte den Kopf unwillkürlich zur Seite,«ich habe in der Zeitung einen Artikel über diesen Chessman gelesen, der bei euch 1960 vergast wurde. Zwölf Jahre lang in der Todeszelle. Achtmal wurde die Hinrichtung verschoben, immer wenige Stunden vor dem Termin. Sie wissen sicher davon?»
    Millar wischte sich den Mund so langsam ab, daß die Bewegung geziert wirkte. Laura Sand sah Perlmann mit einem durchdringenden Blick an.
    «Nun, Phil», sagte Millar schließlich,«da war ich gerade acht. »
    «Aber ein Amerikaner weiß doch sicher auch so davon, nicht wahr?»
    «So what?» Millars Stimme war sehr leise geworden.
    «Was? Sie meinen...», schaltete sich Giorgio Silvestri ein.
    «Nein. Natürlich nicht», fiel ihm Millar gereizt ins Wort,«das lange Hin und Her war unmöglich. »
    Einen Moment lang war es still am Tisch, man hörte die Stimmen der wenigen anderen Gäste und das gedämpfte Geklapper aus der Küche. Silvestri rollte eine Gauloise zwischen den Fingern, als habe er sie soeben selbst gedreht. Er sah Millar mit einem Blick an, in dem es dunkel glitzerte.
    «Aber im Prinzip finden Sie es in Ordnung, daß man Menschen vergast? Oder auf dem elektrischen Stuhl festschnallt?»
    Millars Wangen sahen auf einmal hohl aus, und es war, als sei er hinter seiner Bräune erbleicht.
    «Ich habe zur Todesstrafe keine definitive Meinung. Aber es gibt auch Gründe, die dafür sprechen. Und rhetorische Tricks nützen da überhaupt nichts. »
    Heftig schob Silvestri seinen Stuhl zurück und war schon halb aufgestanden, da fing er sich ab, hob die Zigarette vom Boden auf und gab vor, ein wackliges Stuhlbein zu untersuchen. Zwischen den beiden Männern konnte es jeden Augenblick zu einer Explosion kommen, und die anderen schienen alle aufzuatmen, als der Kellner mit dem Hauptgericht kam.
    «Es ist das Unpersönliche, das Bürokratische an einer Hinrichtung, was mich zum Kochen bringt», sagte Laura Sand nachher.«Einmal abgesehen von den schrecklichen Einzelheiten der Tötung. Ich habe da immer dasselbe Bild vor Augen: wie zwei Uniformierte mit teigigen Beamtengesichtern diesen Menschen, der ihnen nichts getan hat, einen langen Gang entlangführen und festschnallen. Wenn ich die stupide Rechtschaffenheit ihrer Stiefelschritte sehe, denke ich stets, ich wäre fähig, auf diese

Weitere Kostenlose Bücher