Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
dem der Wille stand, sich durch nichts, was ihm begegnen mochte, aus der Fassung bringen zu lassen.
Perlmann hätte sich gern an diesem Blick festgehalten, aber da waren all die anderen: Achim Ruge, der mit einem Zipfel der Strickjacke die Brille putzte; Evelyn Mistral, die ihn mit einem scheuen Blick streifte, während sie verlegen mit dem Verschluß ihres weißen Armbands spielte; Brian Millar mit besonders energisch verschränkten Armen und geneigtem Kopf, den Blick auf die Fingerspitzen gerichtet, als inspiziere er seine Nägel. Und schließlich Adrian von Levetzov, den Perlmann als letzten ansah in der Gewißheit, sich soeben einen Feind geschaffen zu haben. Er hatte die Brille abgenommen und ließ sie in der einen Hand leicht pendeln, während er sich mit dem Daumen und Zeigefinger der anderen Hand die Augen rieb. Perlmann hatte ihn noch nie ohne Brille gesehen und war erschrocken über die Tränensäcke, die jetzt sichtbar wurden. Bange Sekunden lang, in denen Hoffnung und Angst sich wechselseitig verfärbten, wartete er auf seine Reaktion.
Und dann wurde er von diesem Adrian von Levetzov, dessen altväterliche Eleganz er innerlich belächelt und verachtet hatte, regelrecht beschämt. Umständlich setzte er die Brille wieder auf und vergewisserte sich, daß sie auch richtig saß, indem er an der Rundung der Bügel hinter dem Ohr mit zwei Fingern entlangfuhr. Dann schob er nachdenklich und sanft alle Papiere von sich weg, lehnte sich ganz in den Sessel zurück und verschränkte die Hände über dem Kopf- eine Geste, die Perlmann noch nie an ihm gesehen hatte und die er ihm, ohne daß er dies hätte erklären können, nicht zugetraut hätte.
«Neulich, während einer Tagung in London», begann er und hob, nachdem er Perlmann kurz angesehen hatte, seinen Blick über ihn hinweg, als suche er jemanden am Schwimmbecken,«da sah ich abends im Theater wieder einmal Macbeth. Ich war allein und in der seltenen Stimmung, mir nichts vorzumachen. Ich versank förmlich in diesem wundervollen Shakespeare-Englisch. Und plötzlich, da hatte ich das Gefühl, als gäbe es über Sprache nichts Lohnendes herauszufinden, was nicht schon in diesem Erlebnis des Versinkens drinsteckte. In den Minuten bis zur Pause hatte der Gedanke an unsere Profession etwas Fades, beinahe Lächerliches an sich, und ich war drauf und dran, mein berufliches Gewand abstoßen zu wollen wie eine müde, ausgediente Haut. Die beiden Kollegen, denen ich im Foyer begegnete, fanden mich in diesem Moment ziemlich seltsam, glaube ich. Und dann auf einmal war das Ganze vorbei wie ein Spuk, und hinterher im Pub diskutierte ich mit den Kollegen hitzig eine Neuerscheinung unseres Fachs. »
Er holte den Blick aus der Ferne zurück und lächelte Perlmann an.«Irgendwie hat mich Ihr... Ausbruch von eben daran erinnert», sagte er auf deutsch.«Nur: Ich kann nichts dafür. Ich habe unsere Disziplin ja nicht erfunden, nicht wahr. Und so uninteressant ist sie nun auch wieder nicht; trotz Shakespeare. Sonst hätten Sie uns sicher nicht hierhergeholt. Oder?»
Perlmann senkte den Blick und schüttelte leicht den Kopf, ein Schütteln, das ohne klare Absicht und Bedeutung in ein ebenso leichtes Nicken überging.
Die verlegene Pause wurde von Ruge beendet.«Ich wußte gar nicht, daß Sie ein Faible für Poesie haben, Adrian», sagte er grinsend und zeichnete fiktive Kreise auf die Tischplatte.
«Ich auch nicht», fiel Millar ein,«und ich bin gespannt, wie die andere, die aufregende Art von Sprachwissenschaft aussieht, die uns Phil nächste Woche zweifellos vorstellen wird. »
Von Levetzov packte langsam seine Sachen zusammen, erhob sich und blieb dann vor dem Tisch stehen, die Hände auf dem Stapel aus Büchern und Papier. Den Blick – einen suchenden Blick, der einem inneren Kreisen zu entspringen schien – hielt er auf das Parkett jenseits der Tischkante gerichtet. Seine Gesichtszüge, so kam es Perlmann vor, formierten sich zu einer Selbständigkeit, die er an diesem Mann noch nie wahrgenommen hatte, und auch Evelyn Mistral hing mit einem Blick an ihm, wie man ihn nur jemandem entgegenbringt, der gerade dabei ist, sich ein vollkommen unabhängiges Urteil über eine Sache zu bilden.
«Ich weiß nicht, Brian», sagte er langsam, und das Lächeln, mit dem er sich jetzt an Millar wandte, stand in schärfstem Gegensatz zu der sonstigen Beflissenheit im Umgang mit dem bewunderten amerikanischen Kollegen,«darum geht es Philipp vielleicht gar nicht. Ich könnte mir
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