Pern 03 - Drachengesang
erinnerte sich, sie irge ndwann im Laufe des Tages gesehen zu haben.
»Sie wird doch nicht wie sonst zum Kräutersammeln gega ngen sein?« jammerte eine der alten Tanten ängstlich.
»Die Warnung vor den Sporen kam schon beim Frühstück.
Aber da fällt mir ein – heute morgen war sie nicht in der Küche. Sie ist immer so hilfsbereit mit uns alten Leutchen, 95
trotz ihrer kaputten Hand, das arme Ding.«
Anfangs war Sella schlicht wütend. Das sah Menolly ähnlich
… fehlte immer dann, wenn man sie dringend brauchte. Mavi war einfach zu nachsichtig mit dem Kind. Nun, wenn sie am Morgen nicht in der Burg gewesen war, dann hatten die Fäden sie im Freien erwischt. Geschah ihr ganz recht.
Dann kamen Sella die ersten Zweifel. Und sie spürte, wie Angst in ihr aufkeimte.
Wenn Menolly während des Fädeneinfalls draußen gewesen war … würde man dann … überhaupt noch etwas … von ihr finden?
Übelkeit erfaßte sie.
Sella schluckte und suchte ihren Bruder Alemi auf, der die Flammenwerfer-Trupps beaufsichtigt hatte.
»Alemi … dir ist nichts … Ungewöhnliches aufgefallen, als du draußen warst?«
»Was meinst du mit ungewöhnlich!«
»Na ja, Überreste und so …«
»Überreste wovon? Ich habe jetzt keine Zeit für Rätsel, Sella.«
»Ich meine, wenn die Fäden einen Menschen im Freien erwischen … würde dann etwas von ihm übrigbleiben?«
»Was redest du da für ein Zeug?«
»Menolly ist nirgends in der Burg zu finden. Auch in der Dockhöhle hat man sie nicht gesehen. Und sie war nicht bei den Suchtrupps …«
Alemi zog die Stirn kraus.
»Stimmt, das ist mir auch aufgefallen. Aber ich dachte, Mavi würde sie im Haushalt brauchen.«
»Da haben wir es! Und keine der alten Tanten scheint ihr heute morgen begegnet zu sein. Und das Burgtor stand offen!«
»Du glaubst, daß Menolly schon in aller Frühe fortgegangen ist?« Alemi erkannte, daß ein hochgewachsenes, kräftiges Mädchen wie Menolly ohne weiteres die schweren Bolzen 96
öffnen konnte.
»Du weißt doch, wie sie seit diesem Unfall ist … verdrückt sich, wo immer sie eine Gelegenheit findet.«
Alemi wußte das sehr gut, denn er hatte seine schlaksige Schwester gern, und ihm fehlte vor allem ihr Gesang. Es störte ihn, wie die Eltern sie behandelten. Und er fand es auch nicht richtig, daß Yanus dem Harfner verschwieg, wer die Kinder unterrichtet hatte.
»Nun?«
Sellas Frage unterbrach abrupt seine Gedankengänge.
»Ich habe nichts Ungewöhnliches gesehen.«
»Gäbe es denn Spuren … ich meine, wenn die Fäden sie wirklich erwischt hätten?«
Alemi warf Sella einen scharfen Blick zu. Das klang ja, als sei es ihr gleichgültig, wenn Menolly nicht mehr zurückkam.
»Nein, das wohl nicht. Aber den Geschwadern von Benden sind keine Fäden entwischt.«
Damit drehte er sich auf dem Absatz herum und ließ Sella einfach stehen. Sie starrte ihm mit offenem Mund nach. Seine Worte waren merkwürdigerweise kein Trost für sie. Aber es bereitete ihr Genugtuung, Mavi zu melden, daß Menolly nirgends zu finden war. Sie ließ auch keinen Zweifel daran, wer ihrer Meinung nach das Burgtor offen gelassen hatte.
»Menolly?«
Mavi teilte der Köchin Salz und Würzkraut zu, als Sella ihr die Neuigkeit brachte.
»Menolly?«
»Ganz recht – Menolly. Sie ist fort. Verschwunden. Sie hat das Portal offen gelassen. Bei Fädeneinfall!«
»Als Yanus das offene Tor entdeckte, hatte der Sporenregen noch nicht eingesetzt«, widersprach Mavi mechanisch.
Sie schauderte bei dem Gedanken, daß irgend jemand – und sei es selbst eine widerspenstige Tochter – in den silbernen Regen geraten sein könnte.
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»Alemi sagte, daß den Drachen keine Fäden entgangen seien, aber wie kann er das so sicher wissen?«
Mavi schwieg und drehte an der Kurbel der Gewürzmühle.
»Ich werde Yanus Bescheid sagen. Und ein paar Worte mit Alemi reden. Du kümmerst dich jetzt um Onkelchen.«
»Ich?«
»Nun, warum nicht? Es ist eine Arbeit, die weder unter deiner Würde liegt, noch deine Fähigkeiten übersteigt.«
*
Yanus blieb eine Weile stumm, als er von Menollys Verschwinden hörte. Er haßte es, wenn jemand gegen seine strengen Vorschriften verstieß. Und er hatte den ganzen Tag darüber nachgegrübelt, wer das Portal geöffnet haben mochte.
Es war nicht gut, wenn ein Fischer-Baron den Kopf nicht bei der Arbeit hatte. So fühlte er sich erleichtert, daß dieses Rätsel gelöst war; andererseits empfand er Ärger und Sorge wegen des Mädchens.
Einfach verrückt,
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