Pern 07 - Moreta, die Drache
die alte Frau schien mit der Krise zu wachsen.
»Hat es ... noch mehr Tote im Weyr gegeben?« fragte Moreta zögernd.
»Nein!« Leri schüttelte trotzig den Kopf. »Und es hätte überhaupt keine geben müssen. Aber die Leute wollten einfach ihren Verstand nicht einsetzen. Du weißt, wie schnell die Grünen und Blauen die Nerven verlieren. Genau das taten sie, als ihre Reiter erkrankten, statt sie zu unterstützen. Vielleicht ist sogar was dran an Jalloras These, daß die Panik die Krankheit erst recht verschlimmerte ...« Leri starrte einen Moment lang ins Leere. »Jallora ist die Gesellin, die man uns zusammen mit zwei Lehrlingen von der Heilerhalle schickte. Dich hatte es am schlimmsten erwischt, weißt du das? Vermutlich warst du erschöpft nach dem langen Fest ... kein Schlaf, die Aufregung, dann der Fädeneinfall und die schwierige Behandlung von Dilenth ... Ihm geht es übrigens gut. Nun, Orlith hätte niemals zugelassen, daß du stirbst. Sie gab ein so gutes Beispiel, daß wir die übrigen Königinnen baten, die Kranken zu bewachen und auf keinen Fall sterben zu lassen. Es wäre doch gelacht, wenn die Drachenreiter dieses seltsame Virus nicht besiegen könnten! Schließlich leben wir nicht in der dumpfen Enge der Burgen ...«
»Wie viele sind denn krank, wenn die Weyr sich bereits vereinigen müssen, um gegen die Fäden anzukämpfen?«
Leri schnitt eine Grimasse. »Du mußt jetzt tapfer sein. Mit Ausnahme des Hochland-Weyrs melden alle Weyr einen
Ausfall von nahezu zwei Dritteln. Wir können - wenn man die Kranken und Verletzten abzieht - gerade zwei Geschwader zusammenstellen.«
»Aber du sagtest doch, Meister Capiam hätte ein neues Mittel?«
»Zur Vorbeugung. Und dieser Impfstoff reicht längst nicht aus.« Leris Stimme klang wütend. »So beschlossen die
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Weyrherrinnen, daß man zunächst die Hochland-Reiter impfen müsse, da wir im Moment alle von S'ligar und Falga abhängen.
Sobald mehr von dem Serum hergestellt ist, kommen die übrigen Weyr an die Reihe. Im Moment läßt Meister Capiam per Trommeln Leute suchen, die von der Krankheit genesen sind. Tolocamp beschwert sich natürlich, daß die Drachenreiter bevorzugt werden, aber ich finde die Entscheidung vernünftig.«
»Tolocamp ist nicht krank?«
»Er rührt sich nicht aus seinen Räumen.«
»Für eine Frau, die ihren Weyr nur selten verläßt, bist du hervorragend informiert.«
Leri lachte. »K'lon hält mich auf dem laufenden. Sofern Capiam ihn nicht für seine Dienste beschlagnahmt. Zum Glück hat Rogeth einen gesunden Appetit und kommt täglich in den Weyr zurück, um sich vollzufressen.«
»Drachen fressen doch nicht täglich!«
»Blaue Drachen, die zweimal in der Stunde ins Dazwischen gehen, schon!« Leri warf Moreta einen ernsten Blick zu. »Ich bekam eine kurze Nachricht von Capiam, konnte seine Schrift aber kaum lesen. Er lobte K'lons unermüdlichen Einsatz ...«
»A'murry?«
»Auf dem Weg der Besserung. Eine knappe Angelegenheit, aber Holth blieb ständig in Kontakt mit Granth, sobald wir erkannten, wie wichtig die Hilfe der Drachen ist. L'bol verlor beide Söhne und weiß sich vor Trauer nicht zu fassen. M'tani benimmt sich unmöglich, aber er hat eben schon länger als alle anderen gegen die Fäden gekämpft und sieht in diesem
Zwischenfall eine persönliche Kränkung. Wenn wir K'dren und S'ligar nicht hätten, gäbe es wohl auch Probleme mit F'gal. Er hat den Mut verloren.«
»Leri, du redest und redest, aber du verschweigst mir etwas!«
»Ja, Mädchen.« Leri tätschelte sanft Moretas Arm, öffnete die Flasche und schenkte ein Glas voll. »Trink einen Schluck!«
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befahl sie.
Gehorsam trank Moreta; sie wollte eben fragen, was in aller Welt Leri da zusammengebraut hatte, als sie Orliths Gedanken schützend in ihrem Innern spürte.
»Euer Familiensitz ...« Leri schaute an ihr vorbei, und ihre Stimme klang belegt. »... ist hart betroffen.«
Moreta richtete sich ein wenig auf und beobachtete das abgewandte Gesicht der alten Frau. Tränen strömten Leri über die Wangen.
»Nachdem wir zwei Tage lang keine Trommelbotschaft mehr erhalten hatten, machte sich der Harfner von Keroon auf die Reise flußabwärts ...« Leris Finger umklammerten Moretas Arm. »Es ... war niemand mehr am Leben.«
»Niemand?« Moreta war starr. Der Besitz ihres Vaters hatte an die dreihundert Menschen ernährt; weitere zehn Familien wohnten in Hütten nahe der Flußklippen.
»Trink das!«
Wie betäubt gehorchte Moreta.
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