Pern 10 - Die Renegaten von Pern
Phänomen das der junge Händler immer noch beängstigend fand, obwohl er es auf Heths Rücken selbst miterlebt hatte. Nun erst fragte er sich, wieso die Tiere, die doch für ihre scharfen Augen berühmt waren, keinerlei Reaktion gezeigt hatten, obwohl er ohne jede Deckung auf den nackten Felsen lag.
Sie hatten offenbar gar nicht achtgegeben. Gewiß, er hatte sich ganz still verhalten, aber Thella und ihre Gefährten waren doch in Bewegung!
Hielten die Drachen überhaupt Ausschau nach ihr?
Wohl kaum. Diese Drachenreiter fühlten sich in ihrem verdammten Weyr so sicher, daß sie es nicht einmal für nötig erachteten, eine Wache aufzustellen, dachte er empört. Und was sollte Thella daran hindern, ganz dreist in den Weyr einzudringen und sich Aramina zu schnappen?
Jayge stürmte auf dem kürzesten Weg den Hang hinab und rannte über die Brücke und zu seiner Höhle zurück. Die ganze Zeit über hoffte er, plötzlich einen Drachen vor sich zu sehen, der ihm den Weg versperrte und dessen Reiter fragte, wer er sei und was er wolle.
Aber niemand hielt ihn auf, und Jayge zog mit ungewöhnlicher Heftigkeit Kessos Sattelgurt stramm. Dann schwang er sich in den Sattel und ritt in gestrecktem Galopp das Tal hinauf auf einen Tunnel zu, die einzige Möglichkeit, vom Boden aus in den Benden-Weyr zu gelangen.
Hier traf er auf Widerstand. Und obwohl es ihn einigermaßen beruhigte, daß nicht jeder den Tunnel betreten konnte, ärgerte es ihn, daß er seine knappe Erklärung, Aramina drohe Gefahr, da Thella sich im Tal versteckt halte, jedem einzelnen Wächter - kein einziger war ein Drachenreiter - wiederholen mußte, und daß jeder sich sein Empfehlungsschreiben ansah, als spiele Zeit keine Rolle.
Als er das Schreiben wieder einmal hastig aus der Brusttasche zog, 264
fiel versehentlich auch die Skizze von Readis heraus, und ein Wächter hob sie auf
»Der Bursche war gestern hier. Ein Verwandter von Ihnen?«
Einen Moment lang war Jayge vor Schreck wie gelähmt.
»Er ist im Weyr?«
»Warum sollte er? Er wollte nur ein Päckchen Briefe für Aramina abliefern, aber die ist in der Burg.«
»Und das haben Sie ihm gesagt? Sie hirnloser Weyrschnösel, Sie ausgemachter Schwachkopf.«
Jayge war drauf und dran, sich wortreich über die Vorfahren aller sechs Wächter auszulassen, als ihm der älteste plötzlich die Speerspitze an die Kehle setzte.
»Was ist Ihr Begehr?«
Die scharfe Spitze bohrte sich ihm nachdrücklich in die Haut.
Jayge schluckte seinen Zorn und alle weiteren Unverschämtheiten hinunter, griff nach dem Speer und schob ihn beiseite, ohne dem eisigen Blick des Wächters auszuweichen.
»Ich muß K'van sprechen, Heths Reiter, und zwar sofort«, sagte er ruhig, aber doch eindringlich. »Thella hat letzte Nacht im Tal gelagert. Ich habe sie heute morgen gehört. Und wenn sie weiß, daß Aramina in der Burg von Benden ist, befindet sich das Mädchen in großer Gefahr.«
Der Speerträger lächelte ein wenig, um ihn zu beruhigen.
»Jemand, der Drachen hören kann, hat allen Schutz, den er braucht. Aber wenn dieses Banditenweib in der Gegend ist, will Lessa sicher Genaueres darüber wissen. Reiten Sie weiter. Ich sage Bescheid, daß Sie kommen.«
Kesso fand den Tunnel unheimlich, trotz der Leuchtkörbe, die ihn in kurzen Abständen erhellten. Er tänzelte, scheute und zuckte ständig mit den Ohren, weil ihn das Echo seiner eigenen Hufe erschreckte. Als er auch noch in den Furchen stolperte, die von zahllosen Karrenrädern über Hunderte von Planetenumläufen 265
eingegraben worden waren, mahnte ihn Jayge mit einem festen Schenkeldruck zur Aufmerksamkeit. Endlich erreichte er ein zweites, inneres Tor, und die Wachen dort winkten ihn weiter in eine riesige Höhle mit Plattformen in unterschiedlichen Höhen zum Abladen von Wagen oder Karren aller Größen. Von dort wurde Jayge in einen zweiten, noch längeren Tunnel geschickt, dessen Ende nur als heller Fleck zu erkennen war.
Er trabte Kesso an, denn er haßte das Gefühl, im Fels einge-schlossen zu sein. Ständig hörte er Geräusche, die ihn ein wenig zu sehr an die Lawine in Telgar erinnerten, und er mußte sich beherrschen, um nicht einfach im Galopp davonzustürmen.
Dann war er im Benden-Kessel und staunte wie der unerfahrenste Lehrling aus dem letzten Hinterwäldlernest.
Der gewaltige Krater - eigentlich nicht ein, sondern zwei Krater, die ineinander übergingen - bildete ein unvollkommenes Oval. Die zerklüfteten, schroff aufragenden Wände waren
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