Pern 10 - Die Renegaten von Pern
davonsprengten. Das dunkelhaarige Mädchen ritt langsamer an und schaute über die Schulter noch einmal zu ihm zurück.
Jayge lieferte Fancy beim Stallmeister der Burg ab und überreichte ihm auch Meister Biarets Päckchen mit ihrem Stammbaum. Die Haarwirbel wurden mit den in ihren Papieren vermerkten verglichen, und der Mann untersuchte die Stute gründlich, sah sich Beine, Hufe, Rumpf, Hals und Zähne an und ließ sie von Jayge im Trab auf dem Innenhof hin-und herführen, bis dem jungen Händler der Atem 256
ausging. Meister Conwy fand weder an ihrer Verfassung, noch an ihrem Aussehen etwas auszusetzen. Jayge wartete schweigend und spielte lässig mit Kessos Zügeln herum.
»Du hast dir deine Marken verdient, Jayge Lilcamp«, sagte der Mann schließlich. »Sie ist ein schönes Tier. Komm mit. Du kannst deinen Renner über Nacht hier unterstellen. In der Burg Benden hält man auf gutes Essen. Ich werde mit dem Verwalter über deinen Lohn sprechen und mich erkundigen, ob du irgendwelche Botschaften mitnehmen sollst.«
»Ich kehre nicht ins Gestüt zurück.« Jayge fing sich gerade noch rechtzeitig. »Ich muß nach Norden, nach Bitra.«
»Dann gibst du deine Marken am besten hier bei ehrlichen Leuten in Verwahrung, junger Mann. Diese Bitraner können es einfach nicht lassen, andere übers Ohr zu hauen.«
In Conwys Zügen spiegelte sich so viel verächtliche Empörung, daß Jayge unwillkürlich grinsen mußte.
»Ich bin Händler von Beruf, Meister Conwy. Um mich um meine Marken zu bringen, braucht es mehr als einen gerissenen Bitraner.«
»Wie du meinst, Hauptsache, du kennst ihre Tricks.«
Meister Conwy hatte offenbar eine geringe Meinung von Jayges Erfahrung und eine noch geringere von den >Tricks< der Bitraner, aber das hinderte ihn nicht, ein großzügiger Gastgeber zu sein.
Zuerst brachte er die Stute in ihren Stall und bat Jayge, seinen Renner danebenzustellen, damit sie sich schneller beruhigte. Dann führte er den Jungen in die Baderäume, bot ihm an, von einer Magd seine Kleider reinigen zu lassen, zeigte ihm, wo er eine Schlafnische für die Nacht finden konnte, und erklärte ihm, wo er sich vor dem Essen bei ihm melden solle.
Frischgewaschen, in ordentlich aufgebügelten Ersatzkleidern präsentierte sich Jayge bei Meister Conwy, um seine Marken in Empfang zu nehmen. Zu seiner Überraschung verlangte der Meister noch einmal sein Empfehlungsschreiben und fügte Swackys 257
Beurteilung eine zweite hinzu.
»Kann nichts schaden, einen Nachweis für Ehrlichkeit und Fleiß zu haben, wenn man ständig unterwegs ist.«
Dann führte Meister Conwy ihn die Treppe zum Burggebäude hinauf und in den Speisesaal, wo reger Betrieb herrschte. Aus den Küchengewölben drangen verlockende Düfte nach oben. Jayge nahm den ihm zugewiesenen Platz weit rechts zwischen Männern und Frauen im Gesellenrang ein, und Meister Conwy verließ ihn.
In einer Burg herrscht doch ein sündhafter Luxus, dachte Jayge, während er die sauber gestrichenen Wände, die tiefen Fensterni-schen und die brünierten Läden mit den eingeritzten Zeichnungen betrachtete. Der obere Teil der Wände war mit Fresken in leuchtenden Farben verziert, manche davon ziemlich alt, der Tracht der Gestalten nach zu schließen. In den ganz alten Burgen war es üblich, auch Konterfeis berühmter Burgherren, ihrer Frauen und hervorragender Handwerker an die Wände zu malen, einige ganz klein in den Ecken und andere so hoch oben, daß sie fast nicht zu sehen waren.
Jayge überlegte flüchtig, ob einige dieser Porträts wohl von Perschars Hand stammen könnten.
Er antwortete auf die höflichen Fragen, die man an ihn richtete, und ging unverbindlich auf den recht offenkundigen Annäherungsversuch einer hübschen Gesellin an seiner Seite ein, aber er hörte mehr zu, als selbst zu reden. Als die Suppe herumgereicht wurde -
Jayge fühlte sich geschmeichelt, als man ihn zuerst bediente -, richtete die Gesellin es so ein, daß sie mit ihrem üppigen Busen seine Schulter streifte. Die Berührung erinnerte ihn daran, wie lange er schon allein unterwegs war.
Doch jeder Gedanke an eine belanglose Liebelei verflog beim ersten Blick auf die erhöht stehende Haupttafel und das schwarzhaarige Mädchen am rechten Rand.
Ein Pflegling also, erkannte Jayge, aber im Rang nicht hoch genug, 258
um näher bei Bendens Burgherrn, seiner Frau und deren eigenen Kindern sitzen zu dürfen. Ihr dunkelbraunes Kleid mit dem tiefen Ausschnitt brachte ihre cremigweiße Haut gut zur
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