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Perry Clifton und das Geheimnis der weißen Raben

Perry Clifton und das Geheimnis der weißen Raben

Titel: Perry Clifton und das Geheimnis der weißen Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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vorbeigeflogen.“ Und mit einem ängstlichen Blick in Richtung der Hallendecke fährt er fast salbungsvoll fort: „Und so wird sie eines Tages recht behalten!“
    „Wer?“ fragt Dicki überrascht.
    „Die alte Zigeunerin. Sie ist schon ein paar hundert Jahre tot, aber ihr Geist“, Jamesberry hebt den Zeigefinger und zieht damit einen weiten Kreis um sich, „ihr Geist steckt in diesen Mauern.“
    „Ach“, sagt Dicki mit gemischten Gefühlen und bemüht sich, wieder laut zu sprechen.
    „Warum reist ihr nicht gleich wieder ab, du und dein Onkel?“
    Dicki ist der lauernde Unterton in Jamesberrys Stimme entgangen.
    „Wir haben keine Angst. Mein Onkel glaubt nicht an Geister und Gespenster!“ — die Sache mit den Blinddärmen schluckt er schnell hinunter — „Mein Onkel glaubt, daß richtige lebendige Menschen hinter den Raben stecken.“ Jamesberry streckt die Arme gen Himmel und jammert: „Oh, welche Sünde, welche Vermessenheit! Und du? Wie steht es mit dir? Glaubst du auch nicht an ihre Existenz? Hast du keine Angst?“
    Dicki zögert mit der Antwort. Was soll er auf eine so direkte Frage antworten? „Nein“ wäre gelogen. Das tut er nicht, eher beißt er sich die Zunge ab… allerdings, eine kleine Notlüge?
    „Ich kümmere mich einfach nicht drum. Was soll mir schon passieren?“
    Jamesberry rollt mit den Augen, was so gar nicht zu den hundert Lachfältchen passen will, und zetert dazu: „Armes Kind. Hoffentlich nimmt dir das Zohita nicht übel!“ Und mit lauter Stimme ruft Jamesberry: „Umbe-Mumbe-Lumbe-Zumbe!“
    Dicki beobachtet die Zeremonie und fühlt sich alles andere als wohl in seiner Haut. Und er erinnert sich daran, daß Jamesberry die gleichen unverständlichen Worte schon einmal genannt hat. War es nicht erst heute morgen gewesen? Trotzdem ist seine Neugier größer als der Respekt vor dem Unaussprechlichen:
    „Was soll das bedeuten?“
    „Das muß man sagen, wenn man Zohitas Namen in den Mund genommen hat!“
    „Ich bin nicht abergläubisch“, entgegnet Dicki trotzig und wünscht sich in die Nähe Perry Cliftons.
    Als spüre der alte Mann Dickis Bekümmernis, beginnt er sich plötzlich zu verwandeln. Sein Gesicht strahlt wieder heitere Zuneigung aus, und seine Gesten sind vertrauenserweckend.
    „Soll ich dir mal das Geisterlied vorspielen und — singen?“ Dicki nickt, zwar noch nicht mit dem erwarteten Eifer, jedoch schon hoffnungsvoller.
    „Bin gleich wieder da!” verspricht Jamesberry und verschwindet durch eine Tür. Als er kurz darauf zurückkommt, hält er eine Gitarre unter dem Arm. Er setzt sich wieder auf den Fellhocker und zupft gekonnt ein paar Töne an.
    „Ich singe das Geisterlied, einverstanden?“
    Dicki nickt und beobachtet die geschickt hüpfenden Finger, die ein Vorspiel intonieren.
    Dann beginnt Jamesberry mit einer musikalischen, wohllautenden Stimme zu singen:

    „Es schleicht in der Nacht,
    wenn niemand mehr wacht,
    auf nackten Füßen
    über die Fliesen.

    Es wimmert und schallt,
    es schluchzt und es lallt
    mal laut und mal leise
    auf seltsame Weise.

    Es klopft an die Wände,
    es klatscht in die Hände,
    es rasselt mit Ketten
    und Kastagnetten.

    Gei — ster — stun — de…

    Und schaut man zum Fenster hinaus,
    dann sieht man Gespenster — o Graus.
    Und will man sich zitternd im Dunkeln vergraben,
    dann krächzen die Raben.“

    Jamesberry läßt noch ein paar Akkorde aufklingen, ehe er das Instrument absetzt. Beifallheischend blickt er Dicki an, der sehr beeindruckt zu sein scheint.
    „Schön haben Sie gespielt, nur das Lied…“
    Dicki zögert.
    „Was war mit dem Lied?“
    Stockend versucht es Dicki Jamesberry zu erklären: „Es… ich meine… was Sie da gesungen haben… so war es heute nacht … das mit den Ketten und den Raben.“
    „Natürlich war es so“, stimmt Jamesberry eifrig zu. „So ist es immer. Deshalb heißt es ja auch das Geisterlied.“ Und mit einem abgrundtiefen Seufzer schließt er: „Ich habe mich daran gewöhnt. Der Mensch gewöhnt sich an alles, selbst an weiße Raben.“ Und noch ein Seufzer.
    „Sind Sie schon lange auf Schloß Catmoor, Mister Jamesberry?“ bemüht sich Dicki schnell, als er sieht, welch melancholischer Schatten sich über des Alten Miene senkt. „Dreizehn Jahre erst!“ antwortet Jamesberry, bereitwillig auf den Themawechsel eingehend.
    „Dreizehn Jahre erst?“ wiederholt auch Dicki, der im stillen geglaubt hatte, daß der Hausdiener schon ein Leben lang auf Schloß Catmoor

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