Persephones Erbe (German Edition)
Tenebre stellte sich als mindestens genauso baufällig heraus wie das Haupthaus des Hotels, wenn es nicht noch ein bisschen kaputter war. Im Erdgeschoss hingen alle Fensterläden schief, die Spalten unter der ramponierten Haustür luden ganze Heerscharen von Mäusen zum Durchmarsch ein. Dafür grüßten auf dem Balkon zum Hinterhof die Wedel einer jungen Phönixpalme.
Der Portier schloss uns auf.
»Hier, bitte. Ihr Zimmer liegt im ersten Stock.«
Damit verließ er uns hüftschwingend. Er bewegte seinen Hintern wie ein Sambatänzer zum Haupthaus zurück. Landgraf schüttelte den Kopf und nahm den Koffer.
Nebeneinander stiegen wir das finstere Treppenhaus nach oben, hinauf in einen kleinen, ebenfalls dunklen Flur, von dem eine einzige Tür abging.
Sie führte in einen erstaunlich modernen, sehr sauberen Raum, der von einem italienischen Bett dominiert wurde. Viel mehr hatte dort auch nicht Platz. Ich entdeckte einen schmalen Schreibtisch, eher eine Konsole, an der Wand gegenüber. Am Fußende der Liegefläche stand eine Sitzbank für die Koffer. Es gab nicht einmal einen Schrank, nur Kleiderhaken neben dem Bett. Sprossenfenstertüren – vor dem Glas hingen nur hauchdünne Voilestores, keine Übergardinen – führten auf den Balkon.
Gut, Vorteil für mich. Der Raum würde heute Nacht nicht vollständig dunkel werden. Aber ich würde mit meinem Chef in einem Bett schlafen. Sogar unter derselben Decke, das Bett bestand aus einer einzigen Matratze, nicht breiter als vielleicht Eins Vierzig. Wir hatten sicherlich nebeneinander Platz, aber …
Ich gebe zu, der ovale Deckenspiegel war ein Schock.
Landgraf sagte nichts. Er hievte unsere beiden Koffer auf die Bank, die am Fußende des Bettes stand. Danach blieb er wartend stehen.
Ich ertrug das Schweigen nicht lange. Ich öffnete die Tür neben dem Schreibtisch. Sie führte in ein wunderbares, sehr großes Bad, sogar mit Fenster (es war zu meiner Beruhigung aus Milchglas). Dusche, Wandspiegel, Waschtisch, Bidet und WC, eine Badewanne für zwei. Eine kleine Infrarotkabine füllte die Ecke neben der Tür. Und alles in feinstem Marmor ausgeführt, die Sanitärteile, der Fußboden, die Kacheln an der Wand. Die Handtücher waren kükengelb und flauschig. Alles roch sehr neu.
Auch im Schlafzimmer, die Stuckdecke war abgesehen vom Spiegel sehr weiß. Sie roch nach feuchtem Kalk, wie gestern frisch gestrichen. Der Schreibtisch glänzte vom Bienenwachs. Landgraf strich mit den Fingern darüber, als ich aus dem Bad kam. Sein Anzug hing am Kleiderhaken neben dem aufgeschlagenen Bett. Die Kissenbezüge waren zartrosa mit eingewebten Rosenblüten, keine Hotelware, richtig teurer Mako-Damast.
Landgraf rieb sich den Nacken.
»Kati – was halten Sie davon, sollen wir den Wellnessbereich gleich jetzt ausprobieren? Zur Entspannung nach dem Flug?« Sein Gesicht war voll Hoffnung, doch ich zögerte. Landgraf war ein netter Kerl, viel netter, als die meisten Männer, denen ich in letzter Zeit begegnet war. Ich fühlte mich stark zu ihm hingezogen. Aber er war mein Chef. Privat und geschäftlich mischte sich niemals gut. Außerdem, selbst wenn ich das mal ignorierte, ich musste die Überraschung mit dem Doppelbett und dem Spiegel erst noch verdauen.
Mein Chef räusperte sich.
»Oder schieben wir das noch auf. Es ist zwar grau, aber wenn Ihnen das lieber ist, wir könnten den Nachmittag zu einem Bummel über das Forum Romanum nutzen?«
»Gern!«
Wir beschlossen zu Fuß zu gehen. Landgraf besaß einen Stadtplan und er behauptete, es sei nicht weit. »Außerdem brauche ich frische Luft. Entweder Sauna oder ein Spaziergang. Ich habe immer noch ein bisschen Kopfschmerzen.«
»Klar. Das kommt vom Kater.« Kaum gesagt, tat es mir leid. Mir rutschten viel zu oft Dinge heraus, die ich eigentlich gar nicht sagen wollte. Aber Landgraf schmunzelte nur. »Genau! Geben Sie es mir. Sie sind wenigstens ehrlich.«
Wir liefen die Via Urbana bergab. Vorbei an Hotels, die selbst auf den flüchtigsten Blick deutlich solider aussahen als das Tenebre. Vorbei an kleinen Cafes, einem Priesterseminar und etlichen Werkstätten. Eine Baustelle schränkte den Verkehr in dieser engen Straße noch mehr ein – unmittelbar hinter dem Bauzaun reparierte ein junger Mechaniker Motorräder, fachkundig unterstützt von den Kommentaren zweier alter Herren mit Krückstöcken.
Landgraf führte mich kreuz und quer durch Gassen und Straßen. Das Berg- und Talniveau der Häuserzeilen verwirrte mich. Ich war ziemlich
Weitere Kostenlose Bücher