Persephones Erbe (German Edition)
eine ganze Weile nur fest. Wiegte mich wie ein Kind, während mich der Kummer schüttelte. Endlich ließen die Schluchzer nach, auch weil ich allmählich keine Kraft mehr hatte. Aber mein Schmerz wuchs davon eher noch. Ich fühlte mich mehr und mehr verantwortlich für Armins Tod, als hätte ich ihn höchstpersönlich ermordet.
»In gewisser Weise stimmt das.« Der weiße Faun sprach sehr leise. »Hat dir Menalio nicht gesagt, du sollst auf ihn aufpassen? Aber was geschehen ist, ist geschehen. Wir können es nicht ändern. Wir müssen die Carabinieri holen und den Totengräber.«
Die nüchterne Aufzählung steigerte meine Verzweiflung. Der Kummer drückte mir das Herz ab, doch meine Augen blieben dieses Mal trocken. Ich konnte schon nicht mehr weinen. Ich war vollkommen erschöpft, leer. Da lernte ich einmal einen lieben Kerl kennen, einen, mit dem es vielleicht etwas hätte werden können. Der mich vor meinen Stimmen beschützte. Und dann starb er. Beim Sex mit drei Nixen.
Mir fiel auf, dass die Toten schwiegen. Ich spürte ihre gespannte Aufmerksamkeit immer noch. Aber sie schwiegen. Vielmehr: Eine dunkle Macht erlegte ihnen Schweigen auf. Dies war nicht mehr die Aufmerksamkeit der Vielen, die mich mein ganzes Leben geplagt hatten. Sondern etwas viel Älteres. Älter als die Stadt Rom. Ursprünglich gestaltlos, doch im Lauf der Jahrtausende zu einer Macht gewachsen. Dieses Etwas, nein, ich korrigierte mich:
Jemand
wartete in den Katakomben.
Doch bitte nicht auf mich.
Ich hob den Kopf.
Lupercu nickte.
»Es gibt tatsächlich einen Weg. Aber den zu beschreiten verlangt Mut. Komm!«
Er nahm die Petroleumlampe von ihrem Haken über der Rezeption, trug sie mir durch den Vorhang in den Renaissancegang voran. Ich folgte ihm zögernd. Doch es war dort jetzt bis auf Lupercus leichte Schritte totenstill.
»Hast du eigentlich die Fresken schon einmal genauer betrachtet?«
Nein, ich verstand auch die Frage nicht. Lupercu hob vor dem ersten Teilbild die Lampe. Die vergoldete Decke über uns glitzerte.
»Es ist der Proserpina-Mythos, die Griechen nannten die Herrin Persephone. Links siehst du sie bei ihrer Mutter Ceres oder Demeter, in der Mitte spielt sie mit ihren Gefährtinnen auf blühenden Wiesen. Dort vor dem Speisesaal kommt Pluto mit seinem Wagen gefahren und entführt sie.« Lupercu kehrte um. »Auf dieser Seite siehst du das Göttliche Paar in der Unterwelt. Proserpina, Herrin der Toten, und den Gott Pluto. Ein Bild weiter ist es Winter, die Mutter der Herrin, Ceres, trauert über den Verlust ihres Kindes. Nichts wächst mehr. Darum muss Pluto Proserpina jeden Frühling gehen lassen. Das zeigt das letzte Bild. Proserpina kehrt zu ihrer Mutter zurück und die Göttin Ceres schenkt zum Dank reiche Ernten.« Lupercu seufzte. »Plutos Einsamkeit während des Sommers zeigt das Fresko nicht. Nicht einmal alle tausend Jahre wird ein Mädchen geboren, das seine Trauer lindern kann.« Er rieb sanft meinen Rücken. »Kümmern wir uns um Armin!«
Die Wände des Speisesaals knisterten. Im Säulenhof erklang von fern der Gesang einer Nachtigall. Der Vogel saß vielleicht über dem Glasdach des Atriums. Die süßen, klagenden Töne schienen das Lauern der Macht in der Tiefe der Katakomben nur noch zu verstärken. Eine unklare Sehnsucht zerrte an mir. Nach Liebe, nach Hingabe. Mit Armin war es zu spät, doch vielleicht half mir der Faun. Gleichzeitig hatte ich Angst vor Sex mit ihm. Unerklärliche, furchtbare Angst. Mein Herz klopfte.
Lupercu blieb stehen. Ich sah, dass sein Penis zuckte.
»Führe mich nicht in Versuchung, Kati«, sagte er, »ich würde es natürlich liebend gern auf der Stelle mit dir tun. Aber ich bin nicht nur ein Tier. Ich werde dir helfen.« Er berührte meinen Arm. »Du hast nicht mehr viel Zeit, Kati. Komm! Wir müssen Armin in die Kühlung bringen.«
Die versteinerte Castalia lag unten im Hauptraum des Wellnessbereichs unverändert auf der Seite und umarmte Leere. Lupercu beugte sich zu ihr. Der Faun schnippte mit den Fingern. Worauf sie sich geschmeidig erhob.
Nicht, dass es mich noch wunderte. Gleichzeitig erschrak ich natürlich doch. Von Stein zu Fleisch mit einem Fingerschnippen, es war zum aus der Haut fahren.
Castalias Augen glitzerten. Sie streichelte meine Wange. Kühle Finger hoben mein Kinn. »Ach Gott, jetzt haben wir das Kind erschreckt. Keine Angst, ich tu dir nichts, Schätzchen.«
Ein kühler Mund küsste meinen. Castalia knabberte an meinen Lippen. Ihre Zunge schmeckte
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