Persephones Erbe (German Edition)
die Vollversammlung war. Spätestens jetzt sahen mich alle Anwesenden an. Hansen wirkte ziemlich erschrocken. Hatte ich mich so verändert? Nun ja, ich war keine sechzehn mehr. Aber der Heiler war auch alt geworden. Ich erkannte ihn in der leicht gebeugten Gestalt mit dem weißen Haar kaum wieder. Doch die wirkliche Überraschung war der Mann im Kamelhaarmantel, der neben Hansen stand.
»Frau Friedrich? Angenehm, Rolf Wagner. Ich bin der ermittelnde Staatsanwalt.«
Rolf, den ich aus dem Tenebre kannte, drückte bedeutsam meine Hand. Ich verzog keine Miene. So, hier lief also ein Kuhhandel! Zachi, jeder andere Fahnder vor der Garage, vielleicht sogar Hansen, sie hatten keine Ahnung. Ich fand die Situation absurd. Doppelt absurd. Mein alter Freund als Gutachter für meine Begabung, schön und gut. Heiler waren extrem selten. Die Polizei hatte wahrscheinlich niemand sonst zur Verfügung. Aber für meinen Geschmack war nicht nur Hansen befangen. Sondern auch Zachi und erst recht Rolf Wagner. Sextourist im Tenebre, in Nürnberg Staatsanwalt. Ich stellte mir kurz den Spaß vor, wenn ich hier und jetzt verkündete, unter welchen Umständen ich ihn kennen gelernt hatte.
Alle Beteiligten schauten mich immer noch an.
»Also!?«
»Ich dachte, wir machen eine Art Gegenüberstellung. Und wenn Herr Hansen bestätigt, dass Sie uns helfen können, reicht mir das fürs erste als Ergebnis.«
Ich sah aus den Augenwinkeln, dass die Schafherde, die bisher gegenüber des Sportheims geweidet hatte, wie eine langsame, schmutzigweiße Lawine über den Straße quoll. Ja, wirklich quoll. Die Hütehunde hielten die Tiere wie ein einziges Lebewesen zusammen. Der junge Schäfer pfiff. Er schwenkte seinen Hintern in einer mir nur zu vertrauten Weise. Samba in Franken. Mir blieb das Herz stehen. Das
war
Agreo!
»Frau Friedrich – oder darf ich Sie Kati nennen?«
Der Staatsanwalt räusperte sich.
Als ob wir an einem anderen Ort nicht längst beinahe intim verkehrt hätten! Ich musste mich beherrschen, nicht zu lachen. Wagner blieb ernst.
»Verstehen Sie uns bitte richtig. Wir möchten gerne zweifelsfrei feststellen, ob Sie tatsächlich einen Kontakt mit … äh … Toten herstellen können.«
Hatte ich es nicht geahnt?
»Und wie haben Sie sich das hier bitte gedacht?«
»Was meinen Sie?«
Rolf Wagner sah mich fragend an.
»Sie erwarten doch wahrscheinlich, dass ich Ihnen möglichst unwiderlegbar beweise, dass Herr Landgraf
nicht
der Mörder der kleinen Laura ist?«
Er tat mir den Gefallen zu lachen.
»Das wäre in der Tat die komfortabelste Lösung!«
Na schön! Und au, verflucht! Dazu brauchte ich Blut. Ich drehte mich um. Ich wollte Zachi um das Messer bitten. Welch böser Trick des Schicksals: Geritzt hatte mich trotz all meiner Psychosen nie. Hoffentlich schnitt ich mich nicht zu tief. Hansen verstellte mir den Weg.
»Kati!«
Seltsam, nach Jahren wieder eine Hand auf meinem Arm zu spüren, die ich zuletzt auf meinem nackten Körper gefühlt hatte. Aber es machte mir überhaupt nichts aus. Oder sagen wir so: Falls ich je etwas für den Mann empfunden hatte, der mir Liebe machen beigebracht hatte, war es in Rom endgültig gestorben. In mir regte sich nichts. Weder Mitleid noch Hass. Der schon gar nicht. Hansen stand am Ende einer langen und erfolgreichen Karriere als Heiler, ich sah es mit kristallener Klarheit. Er war müde.
Mana. Immer lief es auf Mana hinaus. Hexen saugten es aus Menschen heraus, Heiler bliesen es in sie hinein. Manchmal, wenn sie Glück hatten, fanden sie jemanden, der ihnen wenigstens einen Teil der verausgabten Kraft zurückgab. Wenn ich Lupercu richtig verstanden hatten, konnte Sex wirken wie ein Dynamo. Armin war das vielleicht für mich.
Aber Hansen lebte seit Jahren von der Substanz. Ich fühlte, wie einsam er war. Wie ausgemergelt. Noch machte sein Körper den Raubbau mit. Doch Hansen blieben nur mehr wenige Jahre. Ich sah es mit der Hellsicht der Seherin und zu meinem Schrecken teilte sich meine Erkenntnis dem Psi Hansen mit. Der Heiler verfärbte sich.
»Sie ist tatsächlich eine Psi!« Seine Stimme klang brüchig. »Kati, warum habe ich das damals nicht gesehen? Ich dachte wirklich, es sei nur eine Psychose.«
»Lass gut sein.«
Ich erwischte mich dabei, wie ich meine Hand auf seine legte, die noch immer auf meinem Arm lag. Ich war privilegiert. Armin stand keine zwei Meter von mir entfernt und betrachtete mich voll Liebe und Zärtlichkeit. Ich durfte mich an ihm festhalten. Vorausgesetzt
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