Persilschein
schnippte sie zu Boden, um sie mit dem rechten Fuß auszutreten.
Als Goldstein wortlos an seinem Kollegen vorbeiging, meinte er, ein spöttisches Lächeln in dessen Zügen wahrzunehmen.
21
Samstag, 30. September 1950
Müller blieb trotz sofort eingeleiteter Großfahndung verschwunden. Peter Goldstein gab sich die Schuld an dem Misserfolg. Wenn er am Vorabend des Zugriffs das Haus gründlicher in Augenschein genommen hätte, wäre ihm die Feuerleiter mit Sicherheit aufgefallen und Müllers Flucht höchstwahrscheinlich verhindert worden.
Die Durchsuchung von Müllers Wohnung hatte nichts Verwertbares ergeben. Fingerabdrücke, sogar jede Menge. Einige Bilder von Müller in Zivil und in Uniform mit anderen Männern – Kriegskameraden? Schreiben verschiedener Ämter, aber nicht einen persönlichen Brief. Kein Tagebuch, keine Notizen.
Auch die Befragung der anderen Hausbewohner war ohne Ergebnis geblieben. Keine auffälligen Damenbekanntschaften, kaum Besuch. Ein völlig unscheinbarer Nachbar. Wie gesagt, kaum Brauchbares.
Und warum hatte Schönberger das Martinshorn wirklich eingeschaltet? Steckte er mit Bos und Konsorten unter einer Decke und hatte Müller vor dem Polizeieinsatz warnen wollen? Goldsteins Misstrauen gegenüber seinem Kollegen wuchs.
Mittlerweile wusste Goldstein nicht mehr, was und wem er glauben sollte. Der Gedanke, möglicherweise einen Verräter in den eigenen Reihen zu haben, machte ihn fast krank.
In der Straßenbahn auf dem Weg nach Hause hätte er beinahe wegen einer Lappalie einen Streit mit einem anderen Fahrgast vom Zaun gebrochen. Dann schalt er seine Frau Lisbeth, weil das Bier, das sie ihm zum Feierabend servierte, angeblich nicht richtig temperiert war. Im Anschluss regte er sich über seinen nicht anwesenden Schwiegervater auf, dessen Hausschuhe ihm im Weg standen.
Am Samstagabend schließlich kam es zum Eklat.
Nach dem Abendessen fanden sich die Männer wie üblich in der Stube ein, um dort bei einem Bier und Gesprächen den Tag ausklingen zu lassen. Lisbeth Goldstein sorgte derweil in der Küche für Ordnung.
Hermann Treppmann blätterte wie immer in der Tageszeitung, deren Lektüre er sich für den Abend aufgespart hatte.
»Erst hat unser Herr Innenminister alle Behörden angewiesen, der FDJ keine finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen und jetzt hat er noch einmal nachgelegt. Alle Versammlungen dieser Organisation sind verboten worden. Was ist das eigentlich für ein Rechtsstaat?«, fragte er.
»Das sind doch alles nur Kommunisten«, erwiderte sein Schwiegersohn und nahm einen Schluck aus der Bierflasche. »Von Moskau gesteuert.«
»Und deshalb dürfen sie sich nicht mehr versammeln? Seltsame Logik.«
»Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit«, antwortete Peter Goldstein.
»Ha! Das erinnert mich sehr an die Sprüche der Kommunisten: Nur dort heißen die Gegner Klassenfeinde. Denen ist allerdings auch nichts gestattet.«
»Das ist etwas anderes.«
»Wieso?«
»Weil wir in einer Demokratie leben. Hier kann jeder seine Meinung frei …«
»Wenn seine Zusammenkünfte nicht gerade verboten werden«, unterbrach ihn Hermann Treppmann. »Komischer Demokratiebegriff, finde ich.«
»Es wundert mich nicht, dass du so denkst. Du hast ja schon immer mit den Roten sympathisiert.«
»Ich war und bin Sozialdemokrat, wie du weißt.«
»Mit vielen kommunistischen Freunden.«
»Jetzt schlägt’s aber dreizehn!«, schimpfte Treppmann. »Das sind Nachbarn, mit denen wir seit Jahrzehnten in dieser Siedlung zusammenleben und die mit mir auf’m Pütt waren! Kumpel! So wie ich.«
»Sag ich ja. Kommunistenfreunde.«
»Da lobe ich mir doch meinen Herrn Schwiegersohn, der lediglich mit alten Nazis verkehrt. Entschuldigung, ich hatte vergessen, dass er selbst ja mal Mitglied in diesem Verein war.«
»Ich war nie in der NSDAP.«
»Nee, das nicht. Dafür aber in der SS. Fragt sich, was schlimmer ist.«
Jetzt war es an Goldstein, die Stimme zu heben. »Immer wieder dieselbe Leier. Ich kann diese Sprüche nicht mehr hören! Der Krieg ist vorbei und Hitler tot. Wir leben in einer neuen Zeit. Da muss man die Vergangenheit endlich ruhen lassen können!«
»Und die Kommunisten verteufeln, oder? Das kommt mir ziemlich bekannt vor. Nur weil die Amerikaner in Korea gegen China Krieg führen.«
»Was hat das denn mit dem Verbot der Versammlungen verfassungsfeindlicher Organisationen zu tun, die unser demokratisches Staatswesen zersetzen?«
»Woher kenne ich nur solche
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