Persilschein
Rat hatte ihm sein früherer Kommandeur während des Russlandfeldzuges erteilt. Seitdem befolgte er ihn und war bisher gut damit gefahren.
Auch die Angewohnheit, immer alles, was er nicht zurücklassen wollte, griffbereit zu haben, stammte aus dem Krieg. Er hatte den Rucksack direkt neben dem Fenster, welches zur Feuerleiter führte, deponiert. Er enthielt Geld, Wäsche und Kleidung zum Wechseln, seine Waffe, Papiere, weitere persönliche Unterlagen und natürlich den künstlichen Bart und die Perücke, die er sich vorausschauend in einem Fachgeschäft für Theaterbedarf im besetzten Polen besorgt hatte. Man konnte ja nie wissen.
In der Wohnung hatte er nur das zurückgelassen, was für die Polizei keinen Wert besaß. Geschweige denn würden sie irgendwelche Hinweise auf seinen momentanen Aufenthaltsort finden. Trotzdem musste er vorsichtig sein, möglichst selten das Hotel verlassen und sich ruhig und unauffällig verhalten. In einigen Tagen dann würde er sein Versteck aufgeben und mit der Hilfe seines Auftraggebers auf Nimmerwiedersehen verschwinden können. Aber dazu war es erforderlich, zunächst mit ihm Verbindung aufzunehmen.
Wolfgang Müller verließ das Zimmer und ging zur Rezeption hinunter. Der Alte an der Empfangstheke sah kaum auf, als ihn Müller ansprach und nach einem Telefon fragte, von dem aus er ungestört telefonieren könne. Müller musste sein Anliegen zweimal wiederholen, bis der Mann reagierte, er schien schwerhörig zu sein. Müller war das nur recht, umso geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass er etwas von seinem Telefonat mitbekam.
Der Portier zeigte auf eine Nische am Ende des Flurs und krächzte: »Warten Sie, bis ich die Amtsleitung auf das Telefon gelegt habe. Sie hören es am Freizeichen. Dann können Sie wählen. Wenn Sie ein weiteres Gespräch führen wollen, müssen Sie es erneut bei mir anmelden. Abgerechnet wird bei mir, direkt wenn Sie fertig sind.«
Müller nickte und ging zum Telefonapparat, in der Nische stank es nach altem Rauch. Er griff zum Hörer und wartete. Als es in der Leitung knackte, war der Anschluss freigeschaltet und er wählte die Nummer, die er sich für Notfälle hatte einprägen müssen.
»Ja?«, meldete sich nach kurzer Zeit die ihm bekannte Stimme.
»Du musst mir helfen.«
»Was ist passiert?«
Müller berichtete knapp.
»Wie ist die Polizei auf deine Spur gekommen?«
»Vermutlich durch diese Verkäuferin.«
»Du solltest sie doch zum Schweigen bringen.« Sein Gesprächspartner klang verärgert.
»Das hatte ich ja auch vor. Aber sie hat ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Dort einzudringen und sie aus dem Weg zu räumen, war mir zu riskant. Nach einigen Tagen war ich mir sicher, dass sie mich doch nicht erkannt hat. Ich habe mich wohl geirrt.«
»Das war ein Fehler.«
»Ich weiß. Aber er lässt sich nun nicht mehr ändern.«
»Da hast du leider recht. Wo bist du jetzt?«
»In einem Hotel.«
»Du hast dich doch nicht etwa unter deinem richtigen Namen angemeldet?«
»Natürlich nicht.«
»Was hast du nun vor?«
»Wie ich schon sagte. Ich brauche deine Hilfe.«
»Wobei?«
»Ich muss verschwinden. Am besten ins Ausland. Nutze deine Kontakte und besorge mir ein Visum und neue Papiere.«
»Hast du Geld?«
Für einen Moment verschlug es Müller die Sprache. »Wie meinst du das?«, fragte er dann.
»So, wie ich es sagte. Papiere sind nicht billig. Ein Visum erst recht nicht.«
»Du erwartest tatsächlich, dass ich meine Flucht selbst finanziere?«
»Was spricht dagegen?«
»Was dagegenspricht?« Müller antwortete in seiner Erregung lauter als beabsichtigt, hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle. In gedämpfter Lautstärke erwiderte er dann: »Ich habe für dich die Kastanien aus dem Feuer geholt. Oder muss ich dich daran erinnern, dass Lahmer deine Kreise gestört hat und er dir unbequem zu werden drohte?«
»Ich habe ihn nicht umgebracht, wenn du das andeuten möchtest.«
»Nein. Aber ich habe in deinem Auftrag gehandelt.«
»Was du natürlich auch beweisen kannst.« Die Stimme hatte einen spöttischen Unterton. »Ich will mich nicht mit dir streiten. Ich schaue, was ich tun kann. Und mach dir keine Sorgen wegen der Kosten. Wir werden eine Einigung finden.«
»Das hoffe ich doch sehr«, antwortete Müller. »Vergiss nicht, wenn die Polente mich schnappen sollte, hängst du mit am Haken.«
»Du solltest mir nicht drohen.«
»Das war keine Drohung. Das war ein Versprechen.«
»Wie auch immer. Du verhältst dich einige
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