Persilschein
Begriffe? Zersetzen, von Moskau gesteuert … Alles schon einmal da gewesen.«
»Nun hör doch mit den ollen Kamellen auf. Irgendwann muss doch Schluss sein!«
»Na klar«, brauste Hermann Treppmann auf. »Es muss Schluss sein. Sag das doch denjenigen, die zusehen mussten, wie ihre Eltern an der Rampe in Auschwitz in die Gaskammern selektiert worden sind. Sag ihnen, irgendwann müsse mit ihren Erinnerungen doch einmal Schluss sein. Oder den Müttern, deren Söhne in diesem verbrecherischen Krieg gefallen sind. Ruf es ihnen zu! Oder den russischen Familien, von denen fast jede den Verlust von Angehörigen zu beklagen hat, die erschossen, verbrannt, erschlagen wurden. Sag ihnen, sie mögen doch endlich aufhören, zu trauern!« Jetzt brüllte Treppmann, den Kopf zornesrot. »Sag es ihnen ins Gesicht, wenn du den Mut dazu hast! Wenn du schon dabei bist: Erklär Ilse Bertelt, dass du dafür bist, den Mantel des Vergessens über die Verbrechen der Nazis zu decken.« Treppmann sprang auf und stürmte aus dem Zimmer. Dabei hätte er fast seine Tochter umgerannt, die gerade das Wohnzimmer betreten wollte.
Goldstein schwieg wütend. Der letzte Satz hatte gesessen. Ilse Bertelt war die Mutter von Erwin, einem Sechzehnjährigen, der zu den Edelweißpiraten gehörte und auch in der Teutoburgia-Siedlung gewohnte hatte. Goldstein musste ihn im April 1943 aus fadenscheinigen Gründen festnehmen, hatte den Befehl dazu aber auch nicht verweigert. Später war dem Jungen von der Gestapo der Mord an einem Nazibonzen untergeschoben worden. Erwin hatte schon die Gestapohaft nicht überlebt.
Erwins Mutter und sein Großvater waren in Sippenhaft gekommen. Die Mutter war nach einigen Monaten aus dem Frauengefängnis entlassen worden, der Großvater wurde im KZ Dachau über ein Jahr lang gequält. Kaum war er wieder daheim, starb er an den Folgen seiner Entkräftung und einer Tuberkulose, die er sich im KZ zugezogen hatte. Kurz darauf erhielt Ilse Bertelt die Nachricht, dass ihr Mann gefallen sei. Seitdem lebte sie völlig zurückgezogen in dem Siedlungshaus. Sie hatte Peter Goldstein nie verziehen.
»Habt ihr euch wieder gestritten?«, fragte Lisbeth.
»Erkundige dich bei deinem Ehemann«, schnaubte ihr Vater aus dem Flur.
»Peter! Was ist hier los?«
Goldstein sprang wutentbrannt auf. »Nichts ist hier los! Nur seine Ruhe bekommt man in diesem Haus nicht.« Auch er drängte sich an Lisbeth vorbei.
»Wo willst du hin?« Als er nicht antwortete, setzte sie bittend hinzu: »Nun bleib doch stehen!«
Goldstein zog sich bereits hastig seine Jacke an. »Ich gehe in die Kneipe!«, rief er. »Mich besaufen. Und morgen auch. Kann spät werden.« Mit diesen Worten knallte er die Tür ins Schloss.
22
Montag, 2. Oktober 1950
Du hältst uns ja in letzter Zeit ganz schön auf Trab«, meinte Horst Markowsky, ein Kollege Goldsteins aus der Spurensicherung. Er schloss die Bürotür hinter sich. »Wie siehst du denn aus? Zu wenig Schlaf gehabt?«
Der Hauptkommissar erhob sich, um Markowsky zu begrüßen, ignorierte aber dessen Bemerkung. »Habt ihr etwas Neues?«
»Jein. Aber eins nach dem anderen. Zunächst zur Wohnung Lahmers und dem Zettel, den du dort gefunden hast. Darauf sind nur Lahmers Fingerabdrücke. Die Buchstaben wurden aus einer Zeitung – vermutlich der WAZ – ausgeschnitten und mit handelsüblichem Papierkleber aufgebracht. Die Klebstoffflasche haben wir in einem Schrank in der Küche entdeckt. Ansonsten: Fehlanzeige. Nicht einen Fingerabdruck, der nicht von ihm ist. Sieht so aus, als ob Lahmer tatsächlich nie Besuch empfangen hat. Das gilt im Übrigen auch für die andere Mansardenbude. Unser Toter hat wirklich in beiden Wohnungen gewohnt. Auf der Kassette aus der Bank waren jede Menge Abdrücke. Leider sind nur vier wirklich verwertbar. Einmal deiner, dann einer deiner Leiche mit dem durchschnittenen Hals und zwei weitere, die wir zunächst nicht zuordnen konnten. Wir haben sie mit denen des Bankangestellten verglichen, der dir den Behälter gegeben hat. Einer stammt zweifellos von ihm. Der letzte Abdruck könnte natürlich dem anderen Banker gehören, der derzeit Urlaub macht. In unserem Archiv jedenfalls gibt es keinerlei Übereinstimmung. Dann haben wir da noch ein Fragment …«
»Ja?«, fragte Goldstein gespannt.
»Wie ich sagte, ein Fragment. Der Papillarlinienverlauf ist nicht komplett vorhanden. Ein gerichtsfester Beweis ist das nicht.«
»Nun spuck’s schon aus!«
»Es sieht danach aus, dass wir diesen
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