Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Persilschein

Persilschein

Titel: Persilschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
Vom Netzwerk:
Glauben Sie mir, der Verunglückte ist Ihr Mann. Mein herzliches Beileid.«
    »Aber … Ich lese keine Zeitung«, meinte sie entschuldigend. »Und das Geld … Das kann er doch nicht alles versoffen haben. So viel Knete! Er hatte seine Brieftasche dabei. Ganz sicher! Ich habe doch noch gesehen, wie er die Geldscheine hineingesteckt hat. Sechshundert Mark! Das kann er nicht an einem Abend …«
    Sechshundert Mark! Das war fast das Doppelte seines Monatsgehaltes. Und dann hauste die Familie in einem solchen Loch?
    »Woher hatte Ihr Mann so viel Geld?«
    »Er hat eine Aussage gemacht. Dafür hat er es bekommen.«
    »Was für eine Aussage?«
    »Das weiß ich nicht. Vor diesem Ausschuss, die nach alten Nazis suchen. Am Freitag.«
    Der Entnazifizierungsausschuss. Geld gegen Aussage. Hatte dort jemand einen Persilschein benötigt?
    »Wo? Hier in Herne?«
    »Ich glaube ja.«
    »Wer hat ihm den Betrag gegeben?«
    »Ich kenne den Herrn nicht. Er war nur ein einziges Mal bei uns. Aber das war keine krumme Sache, Herr Kommissar. Heinz hat mir erzählt, dass diese Person Polizist sei. Deshalb müsse er auch die Aussage machen. Und das Geld sei so eine Art Aufwandsentschädigung.«
    »Ein Polizist hat ihn bezahlt?«, fragte Goldstein ungläubig.
    »Ja.«
    »Wie sah er aus?«
    »Na ja, etwa so groß wie Sie. Dunkle Haare. Seitenscheitel. Etwas füllig.« Sie dachte nach. »Mehr fällt mir nicht ein. Ich habe ihn ja auch nur einen Moment gesehen.«
    Goldstein seufzte innerlich – ihre Beschreibung passte auf jeden dritten Polizeibeamten in Herne.
    »Und Sie haben nichts von dem Geld bei Heinz gefunden?«
    Der Hauptkommissar schüttelte den Kopf. »Leider nicht.«
    »Aber die Beerdigung … Wie soll ich die bezahlen?« Sie begann nun doch zu weinen. »Heinz … Was soll denn nun aus mir werden?«
    Goldstein widerstand dem Impuls, die Frau zu trösten. Stattdessen blieb er, seiner Stellung gemäß, förmlich und sagte mit trockenem Mund: »Die sterblichen Überreste Ihres Mannes wurden freigegeben. Setzen Sie sich bitte mit der Gerichtsmedizin in Bochum in Verbindung, um die Details der Überführung zu klären. Es tut mir leid.« Er stand auf. »Auf Wiedersehen, Frau Breitschneider. Und noch einmal mein herzliches Mitgefühl.«
    Als er vor dem Büro stand, holte er tief Luft. Solche Gespräche waren ihm ein Gräuel.
    Er hielt den Hausmeister davon ab, in sein Dienstzimmer zu stürmen und Eleonore Breitschneider unverzüglich rauszuwerfen. Stattdessen nötigte er ihm das Versprechen ab, die Frau für einige Minuten in Ruhe zu lassen. Dann verließ er das Lager.
    25
     
    Montag, 2. Oktober 1950
     
    Im Nachlass seiner Mutter hatte er einen Zeitungsartikel gefunden, der über die Wiedereröffnung eines Kaufhauses in Bochum berichtete. Das Warenhaus sei im Krieg schwer beschädigt, jetzt aber vollständig wiederhergestellt worden, hieß es dort.
    Ein Bild zeigte einen Teil der Belegschaft bei der Eröffnungsfeier. Die Gesichter zweier nebeneinanderstehender Männer hatte sie mit einem Bleistift dick markiert. Wolfgang Müller , stand neben dem einen. Und Richter Pauly neben dem anderen.
    Der Artikel stammte aus dem Oktober 1945. Da hatte seine Mama nur noch wenige Monate zu leben gehabt. Im Januar 1946 war sie gestorben. Wie seine Mutter diese Zeitung aus dem Ruhrgebiet erhalten hatte, wusste er nicht.
    Nach ihrem Tod war er in ein Heim gekommen, welches er erst Anfang 1949 verließ, als er sein einundzwanzigstes Lebensjahr erreicht hatte. Damals wurden ihm der Brief und die sonstige Hinterlassenschaft ausgehändigt, darunter auch der Zeitungsartikel.
    Oft hatte er sich gefragt, warum seine Mutter diesen Richter Pauly nicht angezeigt hatte. Er nahm an, dass ihre Krankheit der Grund dafür gewesen war. Vom Tode gezeichnet, war sie zu müde gewesen, um weiterzukämpfen. Jetzt war es seine Aufgabe, ihren Kampf fortzusetzen und die Gerechtigkeit einzufordern, die seinem Vater verwehrt geblieben war.
    Da er nun volljährig war, war er ins Ruhrgebiet gezogen und hatte wegen Pauly Kontakt mit den Behörden aufgenommen. Das Ermittlungsverfahren war schnell eingestellt worden. Beschuldigter nicht zu ermitteln, hieß es in dem Schreiben der Staatsanwaltschaft, welches ihn kurz darauf erreichte. So wie es aussah, hatte die Justiz in Bochum kein großes Interesse daran, einen der Ihren mit Strafverfolgung zu bedrohen.
    Also musste er selbst handeln.
    Er fand Arbeit in einer der Zechen des mittleren Ruhrgebiets. Schichtarbeit, im wöchentlichen

Weitere Kostenlose Bücher