Persilschein
Schließlich habe ich den Mord mit angesehen und nicht die Polizei verständigt.«
»Hätten Sie die Tat denn verhindern können?«, wollte Goldstein wissen.
»Nein. Das ging alles so schnell. Erst haben die beiden …«
»Lahmer und Müller?«, unterbrach ihn der Polizist.
»Ja. Mein Onkel hat auf irgendetwas in der Dunkelheit gezeigt. Lahmer hat sich umgedreht und quasi im selben Augenblick hat ihm mein Onkel die Kehle durchgeschnitten.«
»Weshalb sind Sie am Tatort gewesen?«
»Ich bin meinem Onkel gefolgt.«
»Und wieso?«
Müller stand auf. Unsicher trat er von einem Fuß auf den anderen. »Also, das war so. Mein Vater war …« Ein Knall ertönte und wie von einem heftigen Schlag getroffen, riss es Müller von den Füßen. Er fiel auf den Rücken, versuchte, sich zu erheben und stützte sich dabei mit einer Hand auf dem Boden ab. Verwundert schaute der junge Mann auf seine Brust. Eine Sandfontäne spritzte neben seinem Kopf hoch. Direkt danach ein Knall. Jemand schoss auf sie.
»Runter!«, brüllte Goldstein und zog Hinterhuber mit in den vermeintlichen Schutz der Bank. Mit dem ausgestreckten linken Arm gelang es ihm, Müllers Bein zu fassen, ohne seine Deckung vollständig aufzugeben. Mit einem Ruck zog er den jungen Mann näher zur Sitzbank, bis er mit der rechten Hand nachfassen konnte. Das Stöhnen Müllers ignorierte er. Erneut ein Schuss. Hinterhuber schrie auf, auch ihn hatte es erwischt. Goldstein zog Müller so nahe an sich heran wie möglich. Dann tastete er nach seinem Halfter. Doch er griff ins Leere. Wie üblich lag seine Waffe im Büro.
Müllers Blick wurde glasig. Goldstein überlegte nur kurz. »Sie bleiben hier«, rief er dem Reporter zu, der dabei war, sich mit einem Taschentuch eine Blessur am Unterarm zu verbinden. Hinterhuber machte einen angeschlagenen Eindruck, seine Verwundung schien aber nicht so schwerwiegend zu sein wie die Müllers. »Legen Sie sich flach auf den Boden. Bleiben Sie unten, verstanden?«
Hinterhuber nickte nur.
Der Kommissar schob sich vorsichtig in Position und lugte durch den Spalt zwischen zwei Bankbrettern. Der Schütze musste sich in dem kleinen Waldstück hinter ihnen verborgen haben. Und Goldstein war unbewaffnet. Zum Teufel! Nur konnte das der Attentäter nicht wissen.
Der Polizist sprang auf und rannte so schnell es ging im Zickzack zu einem Baum, dessen mächtiger Stamm erneute Deckung bot. Warum war er nicht beschossen worden? Er atmete tief ein und spurtete dann Richtung Kapelle. Auch ihren Schutz erreichte er, ohne dass ein weiterer Schuss fiel. Hatte der Attentäter aufgegeben oder wartete er nur darauf, einen tödlichen Treffer zu setzen?
Goldstein schlich zur westlichen Ecke des Gebäudes. Von hier konnte er einen Teil der Brache einsehen. Aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte niemanden ausmachen.
Der Hauptkommissar entschloss sich, alles auf eine Karte zu setzen. Schließlich war Freitagmorgen. Eine belebte Straße und zwei Fußballplätze in unmittelbarer Nähe. Die Schüsse konnten nicht unbemerkt bleiben. Das Risiko entdeckt zu werden, stieg für denjenigen, der auf sie gefeuert hatte, mit jeder Sekunde, die er sich länger am Tatort aufhielt.
Goldstein rannte in das Wäldchen. Er brach krachend durch das Unterholz, bahnte sich seinen Weg. Zweige schlugen ihm ins Gesicht. Jeden Moment erwartete er, getroffen zu werden. Nichts dergleichen geschah.
Dann erreichte er eine kleine, kaum bewachsene Stelle. Niedergetretenes Gras und Laub. Und eine in den Boden gerammte Astgabel. Diente sie als Stativ? Er sah sich kurz um. Hier war niemand mehr. Goldstein atmete erleichtert aus. Die Gefahr war vorüber. Von diesem Platz war die Bank trotz der Zweige und des Gestrüpps gut auszumachen. Hier hatte der Täter gelauert, ohne Frage. An seine Verfolgung war jedoch nicht zu denken, erst musste er sich um die Verletzten kümmern.
Hinterhuber lag immer noch flach auf dem Boden. Als er Goldstein bemerkte, hob er den Kopf und deutete mit der unverletzten Hand auf Müller. »Schnell. Es scheint ihm nicht besonders gut zu gehen.«
Der Polizist half dem Journalisten auf die Beine, er war leichenblass. Das Taschentuch auf seiner Wunde war blutrot. »Geht es?«, erkundigte sich Goldstein.
»Ja. Unser junger Freund da ist schlimmer dran.«
»Können Sie laufen? Dann alarmieren Sie einen Krankenwagen und die Polizei. Ich bleibe bei ihm.«
Hinterhuber schaute besorgt in Richtung Wäldchen.
»Keine Angst. Wenn der Schütze noch da wäre,
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