Persilschein
läge zumindest einer von uns schon tot auf dem Boden. Und jetzt hauen Sie endlich ab.«
Hinterhuber hastete los.
Der Hauptkommissar beugte sich über den Schwerverletzten. Dessen Atem rasselte. Seine Stirn war schweißnass, aber eiskalt. Vorsichtig knöpfte Goldstein den Mantel auf. Der Pullover war bereits blutdurchtränkt. Langsam schob der Polizist ihn hoch, öffnete das Hemd. Das Einschussloch in der Brustmitte war deutlich zu erkennen. Müller begann zu hecheln. Goldstein streifte eilig seine Jacke ab, riss sich sein Hemd und Unterhemd vom Körper. Hastig formte er daraus ein Rolle und presste sie heftig auf die Wunde, um die Blutung zu stillen. Müller stöhnte auf. Unvermittelt schlug er die Augen auf, schaute den Polizisten an und flüsterte: »Pauly.«
Dann fiel er zurück in eine gnädige Ohnmacht.
So verharrte Goldstein, den Druck auf die Wunde aufrechterhaltend. Was konnte er auch sonst tun? Auf Hilfe warten und hoffen, dass Müller nicht unter seinen Händen verreckte.
Das Attentat galt Müller, das stand fest. Ihm fiel kein Grund ein, warum jemand auf Hinterhuber oder ihn schießen sollte. Irgendwer wollte verhindern, dass Müller eine Aussage machte. Aber wer? Und wie hatte der Attentäter von dem Termin erfahren? Er selbst hatte Saborski davon in Kenntnis gesetzt. Der Kriminalrat mochte mit Trasse unsaubere Geschäfte machen und war ein Opportunist – einen Mordanschlag traute er ihm jedoch nicht zu. Hatten Hinterhuber oder Müller noch andere eingeweiht? Wer war dieser Pauly, dessen Name Müller noch gemurmelt hatte? Und vor allem: Was wusste Müller?
Aus der Ferne erklang ein Martinshorn. Dann sah Goldstein Hinterhuber, der auf ihn zukam. Völlig außer Atem erreichte er den Kommissar und beugte sich zu ihm herunter. Dabei stützte er die Hände auf den Oberschenkeln ab, die eigene Verletzung ignorierend.
»Alles erledigt«, keuchte er. »Der Krankenwagen muss jeden Augenblick eintreffen.«
Wie zur Bestätigung bog prompt ein Rettungswagen in den Weg ein, der zum Schloss führte. Hinterhuber hob winkend beide Arme über den Kopf.
Sekunden später versorgten Mediziner den schwer verletzten Müller und auch Hinterhuber ließ seinen Arm verarzten.
Als Müller auf der Trage in den Wagen geschoben wurde, fragte Goldstein: »Wohin bringen Sie ihn?«
»Marienhospital an der Schulstraße«, antwortete der Arzt. Dann schloss er die Tür.
Mittlerweile waren zwei Streifenwagen der Herner Polizei eingetroffen. Goldstein zeigte seinen Ausweis und klärte die Uniformierten kurz auf. Danach veranlasste er eine Großfahndung nach dem oder den Schützen, obwohl er sich keine großen Hoffnungen machte. Wenn auf den Täter in der Nähe ein Fahrzeug gewartet hatte, war er bereits über alle Berge. Aber der Hauptkommissar wollte nichts unversucht lassen.
»Informieren Sie die Spurensicherung«, wies er einen seiner Kollegen an. »Und zwei von Ihnen folgen mir bitte.«
Er führte die Männer an die Stelle, an der wahrscheinlich der Attentäter auf sie gelauert hatte. »Sperren Sie großräumig ab«, befahl er. »Niemand betritt diese Fläche, bevor sie nicht gründlich untersucht wurde.«
Als er zu Hinterhuber zurückkehrte, war der damit beschäftigt, die Ereignisse in Kurzform in seinem Notizbuch festzuhalten. »Was für eine Geschichte«, wiederholte er mehrmals fasziniert, als Goldstein an seiner Seite stand. »Und ich habe sie exklusiv. Wunderbar. Eine Schießerei in Herne.«
Der Hauptkommissar unterbrach den Reporter in seinem Schreibfluss. »Haben Sie jemanden über unser Treffen informiert?«
Der Journalist sah überrascht auf, er hatte Goldsteins Anwesenheit offenbar nicht registriert. »Wie? Ach so. Ja, den Redaktionsleiter selbstverständlich.«
»Sie haben sonst keine Bemerkung fallen lassen? Unter Journalisten anderer Zeitungen beispielsweise?«
»Mit dem Ergebnis, dass uns einer von denen die Reportage wegschnappt? Ich bin doch nicht blöd.«
Diese Erklärung erschien plausibel. Blieb also nur noch Müller übrig, der mit jemandem über das Treffen gesprochen hatte. Er würde ihn fragen müssen. Ganz ausschließen durfte er die Möglichkeit, dass nicht Müller, sondern er das Ziel des Anschlags gewesen sein könnte, jedoch nicht. Er hatte viele Feinde. Aber das galt für fast jeden Kriminalpolizisten. Und niemand von ihnen war in den letzten Jahren das Opfer eines Mordanschlages geworden.
Ein Wagen bremste. Türen schlugen. Markowsky und seine Kollegen nahmen ihre Arbeit auf.
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