Persilschein
wurde auf meinen Informanten, auf einen Journalisten und auch auf mich geschossen.«
»Sie scheinen ja unverletzt davongekommen zu sein.«
»Ja. Nur mein Tippgeber nicht.« Er schilderte kurz den Sachverhalt. »Ich habe Informationen, nach denen der oder die Täter Konrad Müller immer noch nach dem Leben trachten.«
»Warum lassen Sie ihn nicht bewachen? Ein Polizist vor seinem Krankenzimmer müsste doch reichen.«
»Daran habe ich natürlich auch schon gedacht. Jedoch erscheint mir ein solches Vorgehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht opportun.«
»Weshalb nicht?«
Goldstein sah Gerber scharf an. »Gerade von Ihnen hätte ich diese Frage nicht erwartet.«
Gerber schwieg betreten. Dann sagte er: »Und was kann ich in dieser Sache für Sie tun?«
»Ich will Müller ohne großes Aufsehen in ein anderes Krankenhaus verlegen und ihn dort unter falschem Namen anmelden. Dafür brauche ich aber einen Arzt und einen Krankenwagen. Beides habe ich nicht.«
»Und Sie meinen, ich könnte das für Sie erledigen?«
»Das hatte ich gehofft.«
»Vergessen Sie es, Herr Hauptkommissar. Ich war in der Gerichtsmedizin, nicht in einer Klinik tätig. Außerdem wird mir niemand so ohne Weiteres eine Ambulanz leihen.«
»Sie wollen mir also nicht helfen«, erwiderte Goldstein verärgert. »Muss ich Sie erst daran erinnern, dass Sie ein Gutachten manipuliert haben? Sie unterlagen Ihrem Amtseid, Herr Doktor.«
»Letzteres stimmt. Das mit der angeblich falschen Stellungnahme können Sie nicht beweisen. Aber Sie brauchen nicht zu drohen. Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass ich Sie nicht unterstützen werde. Wahrscheinlich bin ich Ihnen das sogar schuldig.«
Goldstein sah ihn fragend an.
»Ich versuche, jemanden zu finden, der Ihnen hilft, Müller zu verlegen. Wo liegt er derzeit?«
Der Hauptkommissar sagte es ihm.
Gerber stand auf. »Ich hoffe, der Mann ist transportfähig?«
»Keine Ahnung«, antwortete Goldstein wahrheitsgemäß.
»Ich kläre das. Dazu muss ich einige Telefonate führen und es wäre mir lieber, wenn Sie mich dabei alleine ließen. Sie brauchen keine Bedenken zu haben«, ergänzte er, denn er sah Goldstein an, dass dieser darüber alles andere als erfreut war. »Weder Sie noch diesen Müller werde ich ans Messer liefern.« Mit diesen Worten verließ er den Raum.
Aus dem Nebenzimmer hörte Goldstein Gerber leise sprechen. Nach einigen Minuten kam der Mediziner wieder zurück. »Müller ist transportfähig. Doktor Mantrop hilft Ihnen«, berichtete er.
»Wer ist das?«
»Ein Oberarzt im St. Anna Hospital in Wanne-Eickel. Der Kollege ist mir einen Gefallen schuldig. Ich habe ihm vor zwei Jahren einen Persilschein ausgestellt.«
»Weswegen?«, fragte Goldstein.
»Er hat 1938 als frisch approbierter Mediziner die gut laufende Praxis eines jüdischen Arztes gekauft.«
»Wenn er sie erworben hat, dürfte das doch kein Problem darstellen.«
»Das hängt vom Kaufpreis ab, oder?«
Goldstein wusste, was Gerber meinte. Viele jüdische Eigentümer waren damals gezwungen worden, ihren Besitz für einen Spottpreis an sogenannte Arier zu verkaufen. Der Wohlstand eines Teils der deutschen Industriellen, Unternehmer oder eben auch Mediziner gründete auf dieser Zwangsarisierung.
»Und er hat sich mit Ihrer eidesstaatlichen Versicherung von weiteren Nachforschungen freigekauft?«
»So könnte man es bezeichnen.«
»Warum hat er seine Praxis aufgegeben?«
»Schlechtes Gewissen. Nach dem Krieg hat er erfahren, dass der Arzt, der ihm seine Praxis verkauft hat, nicht – wie er annahm – nach Amerika emigriert ist, sondern nach Auschwitz verschleppt und ermordet wurde.«
»Verstehe. Wie gehen wir jetzt vor?«
»Ich bringe Sie mit meinem Wagen zum St. Anna Hospital. Von dort fahren Sie nach Herne und holen Müller ab.«
»Einfach so?«, wunderte sich Goldstein.
»Nein. Sie werden wohl oder übel Ihre Autorität als Polizeibeamter einbringen müssen.«
Da dem Hauptkommissar dieser Gedanke nicht behagte, sagte er dies.
»Sie sollen nicht Ihren Namen und Adresse hinterlassen. Wedeln Sie mit Ihrem Ausweis, setzen Sie die Stationsschwester wenn nötig etwas unter Druck – den Rest erledigt mein Kollege. So, und jetzt gehen wir.«
Wider Erwarten gestaltete sich die Aktion nicht sehr schwierig. Doktor Mantrop hatte einen Krankenwagen nebst Fahrer organisiert, mit dem sie zum Marienhospital in Herne fuhren. Dort erkundigte sich der Mediziner, ob der Chefarzt im Hause sei.
Auf der Station betrat Mantrop, gekleidet
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