Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
sie Recht haben (»Der Arm ist wirklich nicht meiner!«; »Ich sehe doch alles!«, »Ich bin wirklich tot, mich gibt’s nicht mehr!«). Das ist sogar dann der Fall, wenn man mit ihnen Experimente durchführt, die ihren Irrtum beweisen sollen. Man kann nämlich zeigen, dass sie ihren nicht beachteten Arm bei reflektorischen Bewegungen (beim Auffangen eines ihnen zugeworfenen Balles) benutzen, dass sie den Kopf einziehen, wenn ein Ball aus dem »blinden« Gesichtsfeld auf sie zugeflogen kommt, und dass sie – obwohl sie tot sind – sich bewegen und darüber sprechen können. Darauf aufmerksam gemacht, leugnen sie die Tatsache oder erfinden irgendeine Erklärung (sie »konfabulieren«).
Derartige Dinge kann man auch an Patienten beobachten, bei denen aus operativen Gründen das Bewusstsein sprichwörtlich »durchtrennt« wurde. Dies ist bei den von dem amerikanischen Hirnforscher Michael Gazzaniga und seinen Kollegen untersuchten Split-Brain-Patienten der Fall. Hier lag bzw. liegt eine Trennung der sprachbegabten und sprachlich-bewussten linken Großhirnhemisphäre von der rechten, nichtsprachlich-emotionalen Hemisphäre vor, und zwar aufgrund einer chirurgischen Durchtrennung oder eines angeborenen Fehlens des Balkens ( Corpus callosum ), der normalerweise mit 300 Millionen Fasern die beiden Großhirnhemisphären miteinander verbindet (vgl. Gazzaniga, 1995; Baynes und Gazzaniga, 2000).
Bei diesen Patienten kann man mit entsprechenden Versuchsanordnungen erreichen, dass jede der Hemisphären, die ja nicht mehr direkt miteinander kommunizieren, unterschiedliche Informationen erhält. Dies macht man, indem man zum Beispiel in der ganz linken (nur der rechten Hemisphäre zugänglichen) Gesichtshälfte oder in der ganz rechten (nur der linken Hemisphäre zugänglichen) Gesichtshälfte verschiedene Wörter oder Gegenstände kurzzeitig darbietet. Beide Reize werden jeweils von einer Hemisphäre wahrgenommen, aber nur die linke kann darüber reden, weil nur sie Zugriff zu den dort lokalisierten Sprachzentren (dem Wernicke- und dem Broca-Areal) besitzt.
Auf diese Weise ist es den Forschern möglich, über die rechte oder linke Hemisphäre der jeweils gegenüberliegenden Hand unterschiedliche Befehle zu geben. In einem solchen Experiment wurde der linken Hemisphäre ein Hahnenfuß gezeigt, und die rechte Hand musste, von der linken Hemisphäre angeleitet, dazu ein passendes Bild, nämlich einen Hahnenkopf, auswählen, was sie auch tat. Gleichzeitig wurde der rechten Hemisphäre eine Schneelandschaft gezeigt, und die linke Hand sollte, von der rechten Hemisphäre geleitet, ein dazu passendes Gerät auswählen. Die linke Hand zeigte korrekt auf eine Schneeschaufel. Die linke Hemisphäre beobachtet die Aktion der linken Hand und nimmt sie auch über die sensorischen Rückmeldungen der Muskeln und Gelenke, d. h. »propriozeptiv«, wahr. Da die linke Hemisphäre aber keinen direkt-bewussten Zugang zur rechten Hemisphäre hat, versteht sie den Sinn dieser Aktion nicht. Sie leidet jedoch – wie alle unsere linken Hemisphären – unter
einem Interpretationszwang des Handelns und erklärt, sie habe mit der linken Hand die Schaufel ausgewählt, um damit einen Hühnerstall auszumisten. Sie »konfabuliert« (vgl. Gazzaniga und LeDoux, 1978).
In dem Zwang, unser eigenes Handeln auf der Ebene des Bewusstseins sinnvoll zu deuten, sind wir nicht weit von diesem Split-Brain-Patienten entfernt. Wir werden von unserem Unbewussten gezwungen, Sinn in unser Handeln zu bringen, ohne über die wahren Beweggründe Bescheid zu wissen. Wir sind als bewusste Wesen – wie Gazzaniga sagt – die letzten, die mitkriegen, was mit uns los ist und uns treibt; wir sind wie Regierungssprecher, die Dinge rechtfertigen müssen, die sie gar nicht veranlasst oder getan haben. Durch diesen Zwang zur sprachlichen Legitimation vor sich und den Mitmenschen lässt sich die radikale Verbiegung und Uminterpretation bis hin zum krassen Leugnen des Offensichtlichen im Handeln erklären.
All dies lässt uns die Möglichkeit, uns selbst zu verstehen, sehr skeptisch beurteilen. Offenbar benötigt man für dieses Selbstverstehen eine externe Instanz, z. B. einen Therapeuten. Eine solche Person kann nämlich etwas tun, das wir nicht tun können, nämlich über die vom Unbewussten stammenden Anteile unserer Kommunikation und unseres Verhaltens Zugriff zur unbewussten mittleren limbischen Ebene zu erlangen.
KAPITEL 14
Was können wir tun, um andere
zu
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