Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
nämlich im Mutterleib oder in den ersten Tagen, Wochen und Monaten nach unserer Geburt. Während unser deklaratives, zu bewusster Erinnerung fähiges Gedächtnis (Cortex und Hippocampus) noch gar nicht ausgebildet ist, lernt unser limbisches, emotionales Gedächtnis aufgrund der Aktivität der Amygdala und des mesolimbischen Systems bereits, was in unserer Umgebung und an eigenen Handlungen gut oder schlecht, lustvoll oder schmerzhaft, angenehm oder unangenehm ist. Indem bestimmte Geschehnisse einschließlich unserer eigenen Handlungen im limbischen Gedächtnis mit positiven oder negativen Gefühlen fest verbunden werden, erhalten sie eine Bewertung , und diese Bewertung trägt zu der Entscheidung bei, ob irgendetwas noch einmal getan oder gelassen werden soll. Dies erleben wir, sobald wir etwas älter geworden sind, als Gefühle , die uns raten, etwas zu tun oder zu lassen.
Da diese emotionale Bewertung seit dem Mutterleib ständig vorgenommen wird, häuft sich im Laufe des Lebens ein ungeheurer Schatz von Erfahrungen an, deren Details uns bewusstseinsmäßig gar nicht mehr gegenwärtig sind und von ihrer Fülle her es auch gar nicht sein können. Die meisten Dinge in unserem täglichen Leben tun wir entsprechend intuitiv, aufgrund mehr oder weniger automatisierter Entscheidungen. Dabei wird das aktuell Wahrgenommene (ein Gegenstand, eine Person, eine Entscheidungssituation) zuerst unbewusst und dann gegebenenfalls bewusst identifiziert, und es wird das emotionale Gedächtnis nach eventuell vorliegenden emotionalen Bewertungen durchsucht. Ist die emotionale Bewertung eindeutig, so entscheiden wir uns ohne größeren bewussten emotionalen Aufwand in einer bestimmten Weise. Andernfalls erleben wir den Widerstreit der Motive buchstäblich am eigenen Leibe, bis wir uns – manchmal für uns selbst gar nicht nachvollziehbar – zu einer Entscheidung durchringen.
Gefühle sind in diesem Sinne Kurzberichte aus dem emotionalen Gedächtnis , und zwar entweder als spontane Affekte oder aufgrund der Erfahrungen der positiven oder negativen Folgen unseres Handelns, also der emotionalen Konditionierung. Im Prinzip ist dies die vernünftigste Art, Verhalten zu steuern, und es ist kein Wunder, dass alle Tiere, die in einigermaßen komplexen Umwelten leben, über ein limbisches System und über emotionale Konditionierung verfügen.
Es wurde bereits erwähnt, dass Amygdala und mesolimbisches System Ereignisse und Objekte nur in relativ grober Auflösung wahrnehmen: ein vorbeihuschender Schatten, ein schnell sich annäherndes Objekt, die Brust der Mutter, ihr liebevolles Gesicht, der Klang ihrer Stimme, die Zärtlichkeit des Vaters, die Süße des Saftes usw. Die Details und die konkreten Umstände – der Kontext – dieser Objekte und Geschehnisse werden von der Großhirnrinde und vom Hippocampus geliefert, meist etwas zeitverzögert. Der Hippocampus ruft in der Großhirnrinde bestimmte Gedächtnisinhalte auf, die zu der unbewusst-limbischen Wahrnehmung passen und ihren Kontext bilden.
Hippocampus, Amygdala und mesolimbisches System arbeiten im Bereich des deklarativen und emotionalen Gedächtnisses und ganz allgemein bei Gefühlszuständen arbeitsteilig. Dies konnte vor einigen Jahren in einem eindrucksvollen Experiment der Forschergruppe um Antonio Damasio gezeigt werden (Bechara et al., 1995). Im Rahmen eines Experimentes mit klassischer Konditionierung, in dem ein Nebelhorn zur Auslösung einer Schreckreaktion verwendet wurde, konnten bestimmte Patienten genau angeben, welcher sensorische Stimulus mit einem Schreckreiz gepaart worden war, sie zeigten aber keine vegetative Angstreaktion, die über die Erhöhung des Hautwiderstands gemessen wurde. Sie entwickelten also keine Angst- oder Schreckempfindungen und nahmen das Ereignis »emotionslos« hin. Der Grund hierfür war, dass sie auf beiden Seiten ihres Gehirns keine Amygdala hatten – diese war aufgrund der Urbach-Wiethe-Krankheit abgebaut worden. Während ihr deklaratives Gedächtnis funktionierte, versagte ihr emotionales . Eine andere Gruppe von Patienten hatte hingegen keine bewusste Information über die Paarung von sensorischem Reiz und Schreckreiz, zeigte aber eine deutliche vegetative Furchtreaktion. Bei diesen Patienten fehlte aufgrund von Verletzungen oder einer operativen Entfernung auf beiden Seiten der Hippocampus. Während ihr emotionales Gedächtnis funktionierte, versagte ihr deklaratives . Die Patienten mit Amygdala und ohne Hippocampus erlebten also
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