Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
Angst und Schrecken, ohne zu wissen, warum.
Die Frage, ob Gefühle irgendeine Funktion haben und warum wir sie überhaupt bewusst erleben müssen, da sie ja auch unbewusst wirken können, hat Psychologen lange beschäftigt. Der bedeutende amerikanische Psychologe William James behauptete, Gefühle seien die Konsequenz und nicht die Ursache unseres Handelns, und argumentierte: Wir haben Angst vor einem Bären, weil wir vor ihm fortrennen, und wir rennen nicht etwa fort, weil wir Angst vor ihm haben. In der Tat gibt es die Situation, dass wir vor etwas reflexhaft zurückschrecken und uns dann erst der Gefahrensituation bewusst werden. Es zeigt sich aber bei genauerem Hinsehen, dass unbewusste Gefühle anders wirken als bewusste Gefühle. Wir können zwar völlig unbewusst furchtkonditioniert werden, wir haben dann aber eine »namenlose« Furcht vor einem bestimmten Geschehen und können nicht adäquat damit umgehen. Gefühle – so zeigt sich – müssen bewusst werden, damit wir dies können, z. B. bei Entscheidungsprozessen. Ich muss bei meinen Planungen und Entscheidungen genau wissen, wovor ich mich fürchte oder was mir lohnenswert erscheint. In Experimenten mit funktioneller Kernspintomographie zeigt sich, dass eine vorgehaltene Pistole, die entweder bewusst wahrgenommen oder aktiv erinnert wird, zu einer viel stärkeren Aktivierung der Amygdala führt, als wenn sie unbewusst wahrgenommen oder »passiv« erinnert wird (Schaefer et al., 2002).
Das zerebrale Belohnungs- und Belohnungserwartungssystem
In Kapitel 5 haben wir von den verschiedenen Modellen und Vorstellungen gehört, die menschliche Entscheidungsprozesse (und auch die von Tieren) zu erklären versuchen. So unterschiedlich sie auch sein mögen, sie gehen alle von der Annahme aus, dass es das Grundstreben der Individuen ist, Lust zu suchen bzw. zu maximieren und Unlust zu vermeiden bzw. zu minimieren. Allerdings fallen einem sofort zwei Einschränkungen ein: Erstens ist manches Luststreben mit Unlust verbunden (man »erkauft« sich also den Lustgewinn, zum Beispiel wenn man Hindernisse überwinden oder Aufschub erleiden muss), und die Schlussabrechnung über Lust und Unlust kann ziemlich kompliziert werden. Ein zweites und noch nicht gänzlich gelöstes Problem ist altruistisches (»selbstloses«) Verhalten, also ein Verhalten, bei dem ein Individuum Unlust, Schaden oder gar den eigenen Tod auf sich nimmt, damit es anderen Individuen besser geht bzw. Schaden von ihnen abgewendet wird. Wie erwähnt, nimmt man heute an, dass altruistisches Verhalten nicht so selbstlos ist, wie es scheint. Es mag zwar dem Individuum selbst Nachteile oder gar den Tod bringen (z. B. einem Wächter, der sich den Raubfeinden aussetzt), aber immerhin tut das Individuum etwas für seinen Gen-Pool.
Es geht also im Gehirn darum, Lust und Unlust, Gewinn und Verlust, Erfolg und Misserfolg zu registrieren und hieran zukünftiges Verhalten auszurichten. Wie dies abläuft, wurde in den vergangenen zehn Jahren intensiv untersucht – mit zunehmender Tendenz. Wie nicht anders zu erwarten, geht es dabei um das Zusammenwirken zahlreicher unbewusster und bewusster corticaler und subcorticaler Zentren. Diese Zentren führen dabei drei Aufgaben aus: Erstens machen sie bei einem anstehenden Entscheidungsproblem eine Abschätzung der Gewinn- und Verlustaussichten, also der Risiken und nötigen Investitionen, zweitens wird der Erfolg der Handlung, für die man sich entschieden hat, bewertet, und drittens führt dies zu einer Bestätigung oder Korrektur der Risikobewertung ähnlicher Entscheidungen.
Kernstück dieses Gesamtvorgangs ist das Erkennen und Abspeichern des Positiven und des Negativen. Für das Negative, auch in Form starker Überraschung und Stress, ist – so wurde bereits gesagt – auf unbewusster Ebene die Amygdala zuständig. Sie erkennt schnell, unbewusst und eher schematisch das Schädliche und Bedrohliche, aber auch Überraschende einer Situation und aktiviert in Zusammenarbeit mit dem Hypothalamus schnell die vegetativen Zentren im Hirnstamm (Mittelhirn, Brücke, Verlängertes Mark) und die Hypophyse, die uns zu Verteidigung oder Flucht und zur damit zusammenhängenden Stress-Bewältigung bereit machen. Dabei veranlassen Hypothalamus und Amygdala auch die Ausschüttung bestimmter Stoffe wie das Noradrenalin, das uns zusammen mit dem Adrenalin aus dem Nebennierenmark in Sekundenschnelle alarmiert und reaktionsbereit macht, oder die Ausschüttung von Cholecystokinin,
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