Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
Vom Netzwerk:
Unser Wille, diesem Zwang zu widerstehen, kann noch so stark sein, wir haben keine andere Möglichkeit, als ihm nachzugeben.
    Bei Willenshandlungen hingegen haben wir prinzipiell die Möglichkeit, etwas so zu tun oder auch anders, oder noch einfacher: eine Sache zu tun oder zu lassen. Ich kann dieses oder jenes Buch oder Auto kaufen, ich kann Ferien in Italien oder in Marokko machen, ich kann mit dem Auto zur Dienststätte fahren, mit dem Bus oder Fahrrad, oder auch zu Fuß gehen. Noch viel einfacher: Ich kann jetzt aufstehen oder einfach sitzen bleiben, ich kann nach der Tasse Kaffee vor mir greifen oder es lassen, ich kann (im Prinzip) mit der linken oder der rechten Hand greifen usw. Aber auch jeder Schritt vorwärts und jede noch so kleine Handbewegung beruhen auf einer Handlungsentscheidung. Nur merken wir von diesen Entscheidungen meist nichts, weil sie in der Regel nicht bewusst getroffen werden. Es handelt sich dennoch um echte Entscheidungen, denn es gibt Alternativen. Das merkt man nur, wenn aus Krankheitsgründen diese Entscheidungen nicht mehr getroffen werden können, wie es zum Beispiel bei Menschen der Fall ist, die unter der Parkinson-Krankheit leiden. Im Endstadium dieser Krankheit wollen die Patienten sich zwar bewegen, z. B. aufstehen oder nach einer Tasse greifen, aber sie können es nicht. Bei ihnen wird aus Gründen, die wir noch kennen lernen werden, die Entscheidung, sich in einer bestimmten Weise zu bewegen, verhindert.
    Von den meisten Entscheidungen, die mit Bewegungen zu tun haben, merken wir nichts, weil diese Entscheidungen und die damit zusammenhängenden Bewegungen automatisiert sind. Zwar benötigt – wie gerade gesagt – jeder Schritt eine Entscheidung, denn wir könnten ja auch einfach stehen bleiben, aber wenn wir einmal gehen, weil wir ein bestimmtes Ziel erreichen wollen, dann benötigen wir dazu keine willentlich-bewusste Entscheidung mehr. Jeder Fuß scheint sich von selbst vor den anderen zu setzen wie in einer Reflexkette. Wir können uns dabei die Gegend anschauen, uns mit einem Begleiter unterhalten oder tief nachdenken, und trotzdem marschieren wir weiter. Dass wir dies können, beruht auf einer Meisterleistung unseres Gehirns und unseres Körpers. Es ist nämlich nicht so, dass wir überhaupt nicht hinzuschauen brauchen, wohin wir den nächsten Schritt setzen, wie dies der Fall wäre, wenn es sich um wirkliche Reflexe handelte, sondern wir weichen durchaus kleineren Hindernissen aus und gleichen Unebenheiten aus, ohne dies zu merken. Unser Sehsystem lenkt unsere Bewegungen dabei unbewusst oder mit sehr flachem Bewusstsein, d. h. ohne dass wir uns auf das Vorwärtsgehen konzentrieren müssten. Dennoch entscheiden Gehirnzentren, von denen wir noch hören werden, ständig darüber, ob sie überhaupt den nächsten Schritt befehlen und wie dieser ausgeführt werden soll.
    Dinge, die für uns hinreichend wichtig sind, damit wir uns mit ihnen überhaupt befassen, und gleichzeitig neu und ungewohnt sind, erfordern unsere gezielte Aufmerksamkeit, aber diese gezielte Aufmerksamkeit wird umso mehr überflüssig, je mehr der ganze Ablauf gewohnt und automatisiert wird. Wir tun dann Dinge »wie im Schlaf« und meinen, es gebe hierbei gar nichts mehr zu entscheiden. Das ist aber nicht richtig, denn was schwindet, ist nur die bewusste Entscheidung. Nehmen wir an, wir sind in eine andere Stadt umgezogen und fahren zum ersten Mal zu unserer neuen Arbeitsstätte. Dann müssen wir uns genau auf die Verkehrssituation konzentrieren und ständig Entscheidungen treffen, welche Straße wir nun fahren und so weiter. Nach einiger Zeit fahren wir eine bestimmte Strecke ohne jeden geistigwillentlichen Aufwand und bewältigen dabei sogar ziemlich komplizierte Verkehrssituationen wie einen Kreisverkehr, und manchmal fahren wir ganz automatisch diese Strecke, obwohl wir eigentlich woanders hin wollten. Dies passiert uns besonders dann, wenn wir mit den Gedanken ganz woanders sind.
    Dass es sich trotz aller Automatisierung unserer Handlungen immer noch um Entscheidungen handelt, sehen wir an der simplen Tatsache, dass wir die besagte Strecke keineswegs zwanghaft fahren, sondern eine andere Strecke fahren können, wenn wir nur wollen . Unser bewusster Wille kann solche Automatismen also unterbrechen und eine andere Handlungsentscheidung herbeiführen. Entscheidungen können hoch bewusste Abwägungsprozesse erfordern (»soll ich das Stellenangebot in Berlin annehmen oder in Bremen bleiben?«), oder

Weitere Kostenlose Bücher