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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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Faktoren hauptsächlich bestimmt werden. Diese muss man identifizieren und in ihren langfristigen Wirkungen und besonders ihren (z. T. versteckten) Risiken untersuchen. Dies zielt in die Richtung der Einsichten, die sich aus Dietrich Dörners Simulationsexperimenten ergeben und die hier deshalb noch einmal mit eigenen Worten zusammengefasst werden sollen: (1) Fange nicht mit einzelnen Maßnahmen an, die dir gerade ins Auge stechen, sondern analysiere sorgfältig, worin das Problem eigentlich besteht und wie dringend seine Lösung ist; (2) bedenke die mittel- und langfristigen Folgen der einzelnen Maßnahmen und die Auswirkungen auf andere Bereiche (im politischen Raum eine äußerst schwierige Forderung); (3) bedenke die große Rolle positiver oder negativer Rückkopplung (insbesondere die Tot- und Verzögerungszeiten) bei jedem Eingreifen in einen laufenden Prozess; (4) überprüfe deine Arbeitshypothesen und Strategien an der Realität; (5) starte nicht sprunghaft neue Projekte bei ersten Misserfolgen, sondern verfolge geduldig, aber zugleich selbstkritisch und realitätsüberwacht eine bestimmte Strategie auch gegen Widerstände; (6) drücke dich nicht vor der Eigenverantwortung und suche bei Misserfolgen nicht nach Sündenböcken, sondern stehe zu deinen Entscheidungen und versuche sie zu korrigieren (falls dazu Gelegenheit besteht).
    Selbstverständlich gilt dies nicht für Entscheidung im Alltagsleben und in Situationen, in denen einem gar nichts mehr einfällt. Hier sind die von Gigerenzer und Kollegen propagierten Heuristiken sehr brauchbar. Wenn ich keine Ahnung habe, welches Waschmittel ich kaufen soll, dann kaufe ich das mir bekannteste. Wenn ich gar nicht mehr weiß, welches Auto ich kaufen soll, dann sollte ich dasjenige kaufen, das mir (oder meiner Frau) unter den gegebenen finanziellen Bedingungen am meisten gefällt, oder bei dem die Nachbarn anerkennend nicken, ohne sonderlich überrascht zu sein. Oder ich kaufe mir den Nachfolger des Modells, mit dem ich bisher zufrieden war. Wenn ich nun gar nicht weiß, ob ich in Bremen bleiben oder den Ruf nach Berlin annehmen soll, dann erinnere ich mich daran, dass es in Berlin die interessanteren Opernaufführungen gibt. All das garantiert mir zwar nicht die theoretisch beste Entscheidung, aber ich habe zumindest ein Nebenoptimum erreicht.

Über die Vor- und Nachteile intuitiven Entscheidens
     
    In Kapitel 5 haben wir über die bemerkenswerte Studie von Dijksterhuis und Mitarbeitern gesprochen, die herausbekommen haben, dass Entscheidungen, die auf Nachdenken beruhen, nur in relativ einfachen Entscheidungssituationen optimal sind, während die Strategie, eine Sache kurze Zeit ruhen zu lassen, dabei nicht nachzudenken und sich anschließend spontan zu entscheiden, für komplexere Entscheidungssituationen besser geeignet ist. Das hat viele Fragen aufgeworfen, zum Beispiel, ob dies wirklich für alle komplexen Entscheidungen zutrifft und wie dieser Befund – falls er sich erhärtet – zu erklären ist.
    Die erste Frage haben wir bereits teilweise beantwortet. Es gibt zweifellos Situationen in unserem Alltag (und nur um diese ging es in den Untersuchungen von Dijksterhuis und Mitarbeitern), in denen diese Strategie intuitiven Entscheidens nach kurzer Verzögerung die beste ist (z. B. das Einkaufen). Sie ist eigentlich keine Entscheidung »aus dem Bauch heraus«, sondern eher »aus einer Ahnung heraus«. Auch ging es bei den Experimenten um das Nachdenken bzw. Nicht-Nachdenken in einem Zeitraum von vier Minuten, und die »komplexen« Entscheidungen des Experiments beim Möbelkauf bei IKEA waren nicht wirklich komplex. Viele tatsächlich komplexe Entscheidungen werden von uns oder öffentlichen Entscheidungsträgern nicht nach vier Minuten des Nachdenkens oder Nicht-Nachdenkens getroffen werden. Ein kürzlicher Autokauf hat bei meiner Frau und mir zumindest einige Wochen gedauert, und zwischendurch kamen neue Gesichtspunkte auf, die unsere Entscheidung deutlich beeinflusst haben. Ein Hauskauf will in jedem Fall gut überlegt sein, da er viele Konsequenzen hat, und eine Entscheidung über die Einstellung oder Nichteinstellung eines Bewerbers sollte auch nicht in insgesamt vier Minuten getroffen werden. Erst recht wird eine Regierung nicht nach vier Minuten Beratung über eine neuerliche Erhöhung der Mehrwertsteuer entscheiden.
    Richtig ist an dem Dijksterhuis-Modell, dass bei vielen komplexeren Entscheidungen unser Verstand aktuell überfordert ist. Das gilt

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