Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
Entwicklung geben, die nicht vorgezeichnet, »prä-stabiliert«, ist, sondern sich aus der teilweise völlig zufälligen Interaktion zwischen Anlage und Umwelt über den Prozess der »natürlichen Selektion« ergibt. Danach ist – wie Darwin in aller Schärfe erkannte – auch der Mensch ein zufälliges und vielleicht auch vorläufiges Produkt der Evolution, nicht ihr Endziel.
Die Idee, dass die Umwelt einen determinierenden und nicht nur geburtshelferischen Einfluss auf die Entwicklung der Fähigkeiten von Tier und Mensch hat, kam parallel und vehement Ende des 19. Jahrhunderts in Form der russischen Reflexlehre und des amerikanischen Behaviorismus auf. Beiden Richtungen lag die Überzeugung zugrunde, dass tierisches und menschliches Verhalten – abgesehen von trivialen Gegebenheiten wie dem Körperbau und dessen Grundfunktionen – von Einflüssen der Umwelt, beim Menschen von denen der Gesellschaft bestimmt wird. Dieser Einfluss erfolgt mehr oder weniger ausschließlich über den Prozess des assoziativen Lernens, nämlich der klassischen und der operanten Konditionierung.
Die Grundzüge der klassischen Konditionierung wurden von dem russischen Physiologen und Lerntheoretiker Iwan Pawlow um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entwickelt und auch Reflexlehre (»Reflexologie«) genannt. Hierbei geht es um den bekannten Zusammenhang: Eine natürliche Verhaltensreaktion eines Versuchstieres, z. B. der Speichelfluss eines Hundes, wird durch einen natürlichen oder unbedingten Reiz (so genannt, weil dieser ohne weitere Bedingungen wirkt) verlässlich ausgelöst, z. B. durch den Anblick oder Geruch von Futter. Irgendein anderer Reiz, z. B. ein Glockenzeichen, hat diese Wirkung anfangs nicht (dies muss im Zweifelsfalle überprüft werden). Wird aber das Glockenzeichen einige Male mit dem Anblick von Futter zeitlich gepaart (assoziiert), dann genügt schließlich das Glockenzeichen allein, um Speichelfluss auszulösen – also etwas, das es vorher nicht getan hat. Aus heutiger Sicht wird das Glockenzeichen zum verlässlichen Vorhersager des Anblicks von Futter. Pawlow meinte, man könne alles Lernverhalten durch solche klassische Konditionierung erklären, und zwar auch ziemlich komplexes Verhalten, indem an den ersten bedingten Reiz ein zweiter Reiz »angehängt« würde und an diesen ein dritter usw.
In Amerika machten diese Untersuchungen großen Eindruck, denn sie stimmten mit dem Anliegen des amerikanischen Behaviorismus überein, Verhalten und die exakten Gesetze der Veränderbarkeit tierischen und menschlichen Verhaltens gleichermaßen mit naturwissenschaftlichen Mitteln zu untersuchen. Das war natürlich revolutionär, denn bis dahin galt es als ausgemacht, dass Tiere sich verhalten , Menschen hingegen handeln , und dass man das eine nicht mit dem anderen vergleichen kann. Auch heute noch geht die Mehrzahl der Geistes- und Sozialwissenschaftler von einer solchen Annahme aus.
Das genannte Forschungsziel, die Gesetze des Verhaltens und seiner Veränderungen mit experimentellen Mitteln zu identifizieren, wurde in Amerika gegen Ende des 19. Jahrhunderts zuerst vom amerikanischen Psychologen Edward Thorndike (1874 – 1949) verfolgt. Thorndike entwickelte für das Studium des Lernverhaltens von Katzen und Hunden einen Versuchskäfig (puzzle box), in welchen das Versuchstier, z. B. eine hungrige Katze, hineingesperrt wird. Vor dem Käfig ist ein Stück Futter ausgelegt. Die Katze versucht aus dem Käfig heraus und an das Futter zu kommen, kratzt, beißt und springt im Käfig umher und tritt irgendwann einmal auf eine Pedalvorrichtung, die eine Klappe öffnet. Die Katze entweicht und frisst das Futter. Anschließend wird sie erneut in den Käfig gesperrt, und das Ganze wiederholt sich einige Male. Man beobachtet dann, dass sich die Zeit, in der die Katze sich im Käfig »unmotiviert« verhält, zunehmend verkürzt und das Tier schließlich sofort das Pedal betätigt, um dem Käfig zu entkommen. Wir würden nun sagen, die Katze habe gelernt, dass das Pedalbetätigen den Käfig öffnet und ein Entkommen ermöglicht.
Wie lässt sich ein solches Lernverhalten erklären? Nach Thorndike wird die Auftrittswahrscheinlichkeit eines Verhaltens dadurch erhöht, dass es positive Konsequenzen hat. Im Falle der Katze sind dies zum einen der Zugang zum Futter und zum anderen das Entkommen aus dem »Problemkäfig«. Thorndike nannte dies das Gesetz des Effektes (oder der Auswirkung ). Charakteristisch für diese Art von
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