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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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extern determinierte und determinierbare Wesen angesehen. Daraus resultierte ein ungehemmter Erziehungsoptimismus, der lautete, dass jedes Tier und
jeder Mensch zu jedem erwünschten Verhalten erzogen werden können, vorausgesetzt, sie können dies überhaupt körperlich vollbringen (eine Taube kann nicht zweihändig Klavierspielen lernen) und man macht es richtig, d. h. nach den von den Reflexologen und Behavioristen herausgefundenen Gesetzen der klassischen und operanten Konditionierung. Entsprechend hatten die Grundsätze des Behaviorismus in in den USA einen überwältigenden Einfluss auf die damalige Psychologie und Verhaltensbiologie und weit darüber hinaus auf Pädagogik, Didaktik und Politik. Alternative psychologische Ansätze wie Freuds Psychoanalyse wurden aus dem Bereich »wissenschaftlicher« Psychologie herausgedrängt bzw. verabschiedeten sich freiwillig daraus, oder sie wurden wie die Gestaltpsychologie nur sehr am Rande beachtet.
    Der große Fortschritt, der mit dem Aufkommen der Pawlow’schen Reflexlehre und des Behaviorismus verbunden war, bestand und besteht in einer Revolutionierung der Methoden der experimentellen Verhaltensbiologie und dem Aufstellen von Gesetzen, die den Vorgängen des assoziativen Lernens (d. h. der klassischen und operanten Konditionierung) universell zugrunde liegen. Nicht gesehen wurde, dass hierfür nur bestimmte, meist einfache Lernprozesse geeignet sind und bestimmte Versuchstiere wie Ratten und Tauben für bestimmte Lernaufgaben viel besser »funktionieren« als andere. Man wusste seit langem in Kreisen von Zirkusdompteuren, dass man keineswegs allen Tieren alles, was diese motorisch überhaupt leisten können, in gleicher Weise beibringen kann, sondern dass bestimmte Tiere bestimmte Dinge schnell und andere nur schwer oder gar nicht lernen.
    So war die geringe Konditionierbarkeit vieler Tiere, z. B. von Eseln oder Zebras, seit langem bekannt. Dem mit Skinner zusammenarbeitenden Tierpsychologen-Ehepaar Breland gelang es beispielsweise trotz vieler Konditionierungsversuche nicht, Schweine dazu zu bringen, ein Geldstück in ein Sparschwein (!) zu stecken, oder Hühner dazu zu bringen, für auch nur 10 bis 12 Sekunden ruhig auf einer Plattform zu verharren, ohne zu scharren. Die Autoren schlossen aus ihren Befunden, dass Tiere und Menschen keineswegs immer, wie von Skinner behauptet, den Weg des geringsten Aufwandes einschlagen, um zu einer Belohnung bzw. Verstärkung zu gelangen, und zwar dann nicht, wenn interne Tendenzen (z. B. angeborene Verhaltensweisen) dem entgegenstehen. Daraus folgte die inzwischen allgemein akzeptierte Einsicht, dass operante Konditionierung dann am erfolgreichsten ist, wenn sie angeborenen Lerndispositionen eines Tieres oder Menschen entgegenkommt. So etwas durfte es aber in den Augen des Behaviorismus überhaupt nicht geben.
    Die Schwierigkeiten der Reflextheorie und des Behaviorismus, komplexes Verhalten als Ketten von einfachen Reflexen oder von operant konditionierten Verhaltensweisen zu beschreiben, waren schon früh offensichtlich. Dennoch dauerte es lange, nämlich bis zum Ende der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts, ehe sich stärkerer Widerstand gegen den orthodoxen Behaviorismus formierte. Die beiden ersten bedeutenden Kritiker des Behaviorismus kamen interessanterweise aus den eigenen Reihen. Der erste war der Psychologe Edward C. Tolman (1886 – 1959). Nach Tolman ist die Grundeinheit des Verhaltens der zweckhafte, zielgerichtete Akt, der von »kognitiven Prozessen« geleitet ist. Solche kognitiven Prozesse überhaupt in Rechnung zu stellen, war für den orthodoxen Behaviorismus ein Sakrileg. Der andere »Abweichler« war der Psychologe und Verhaltensforscher Karl S. Lashley (1890 – 1958). Während die klassischen Behavioristen es als völlig überflüssig ansahen, nach den Mechanismen zu fragen, welche dem beobachteten Lernverhalten zugrunde liegen, meinte Lashley, dass jede mentale Aktivität durch Hirnprozesse verursacht ist und dass es sich lohnt, diese zu studieren.
    In der Psychologie wurde schließlich die »kognitive Wende« durch Arbeiten der Psychologen Broadbent und Neisser eingeleitet. Dies führte zum so genannten Funktionalismus, d. h. der Auffassung, dass Kognition »Informationsverarbeitung« ist, die mithilfe von logischen Berechnungsabläufen (so genannter Algorithmen) nachgezeichnet werden kann. Interessanterweise wurde dabei der von Lashley eingeschlagene Weg wieder verlassen. Die

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