Personenschaden
sechsjährigen Deutschlandaufenthalts offenbar noch nicht intensiver befasst.
Wie viele mutmaßliche Beinprothesenträger Mitte dreißig, die einen schwarzen Fiat Punto fuhren, gab es wohl im oberbayerischen Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen? Wäre ich noch Kommissar, dachte Schwarz, würde ich jetzt den Staatsanwalt bitten, beim Tölzer Landratsamt die Herausgabe der Daten zu verlangen. Allerdings würde der mir was husten. Wegen einer Schmiererei auf einer Mauer, würde er sagen, und ein paar Kerlen, die auf der Straße herumlungern? Herr Schwarz, ich bitte Sie, bleiben Sie mal auf dem Teppich. Und aus seiner Sicht hätte er sogar recht.
7.
Schwarz wartete, bis es dunkel war, dann machte er sich noch einmal zu der Stelle auf, wo Tim Burger gestorben war. Die Straßen rund um den Park am Bahndamm waren mit Autos zugestellt. Im nahen ›Hirschgarten‹ war der Teufel los. Schwarz fiel ein, dass seine Mutter den Biergarten früher bei jedem Aufenthalt in München besucht und ihr über Monate gesammeltes, altes Brot ins Wildgehege geworfen hatte. Er nahm sich vor, sie, bevor die schönen Tage wieder vorbei waren, auf ein Hähnchen und eine Halbe Bier einzuladen. Allerdings lieber vormittags, da war das Risiko nicht so groß, dass die bayerische Blaskapelle so schöne Lieder wie ›Heute hau’n wir auf die Pauke, ja wir machen durch bis morgen früh‹ spielte.
Zur Schwarz’ Überraschung war das Loch im Maschendrahtzaun geflickt, außerdem lag ein Teil des Bahndamms im Licht von Scheinwerfern. Was war da los? Hatte Buchrieser den Vorwurf, er schaue dem Treiben von Neonazis untätig zu, doch nicht auf sich sitzen lassen wollen?
Das grelle Flutlicht allerdings stammte von einer Baustelle, auf der auch nachts gearbeitet wurde. Schwarz erinnerte sich, dass hier ein neuer Bahnhof entstehen sollte. Die Besucher des ›Hirschgartens‹ freuten sich bestimmt schon darauf, bald vom Biertisch direkt zur S-Bahn torkeln zu können.
Er kletterte über den Zaun, stieß aber schon nach einigen Metern auf eine Bretterwand mit dem obligatorischen Hinweis »Eltern haften für ihre Kinder«. Schön wär’s, dachte Schwarz und bahnte sich den Weg durch dichtes Gebüsch. Immer wieder verfing er sich in den Ästen und musste aufpassen, sich nicht Hände und Gesicht zu zerkratzen.
Als er auf der anderen Seite ankam, sah er sie – die Gruppe hockte auf der Betonmauer. Kerzen flackerten, die hohen Kräne der Baustelle warfen lange, bizarre Schatten.
»Da ist jemand«, rief ein Mädchen.
»Guten Abend.« Schwarz näherte sich den Jugendlichen bewusst langsam. Es waren sechs oder sieben. Alle waren schwarz gekleidet, die Jungen trugen lange Ledermäntel, die Mädchen Korsetts, Netzstrümpfe und Plateaustiefel. Ihre Augen und Lippen waren dunkel umrandet. Manche hatten ihr Haar auf einer Seite rasiert, andere trugen über der kahlen unteren Kopfhälfte einen Pferdeschwanz. Schwarz war kein Experte für Jugendkulturen, aber die Gruppe sah nicht so aus als würde sie zur rechten Szene gehören.
»Was wollen Sie hier?«, fragte einer, der seine Augen hinter einer Sonnenbrille versteckte – dem Ton nach war er der Anführer.
»Ich sehe mich nur ein bisschen um.«
»Sie haben sich verletzt«, sagte das Mädchen.
Schwarz wischte sich über die Stirn und sah etwas Blut auf seinem Handrücken.
Das Mädchen kam näher und reichte ihm ein Papiertaschentuch. Es war höchstens fünfzehn, extrem dünn und hatte schöne, ebenmäßige Gesichtszüge. Während Schwarz sich das Tempo gegen die Stirn drückte, stellte er sich vor, dass die bürgerlichen Eltern des Mädchens gerade eine feine Essenseinladung oder eine Aufführung der Münchner Oper besuchten.
»Wenn Sie ein Nazi sind«, lispelte ein Junge mit Piercings in Ohren und Nase, »kommen Sie zu spät.«
»Sehe ich so aus?«
»Es soll auch Altnazis geben«, meinte der Anführer.
Ein Zug ratterte vorbei, dann kam aus der anderen Richtung eine S-Bahn . Der Fahrtwind blies einige Kerzen aus, ein Junge zündete sie geduldig wieder an.
»Hier waren nämlich eben noch Nazis«, sagte das Mädchen.
»Und wieso haben die sich verzogen?«
»Die Bullen haben eine Razzia gemacht. – Hier ist noch was«. Sie nahm Schwarz das Taschentuch aus der Hand und tupfte einen Bluttropfen von seiner Wange.
»Danke.«
»Ich glaube, ich weiß, was der will«, sagte der Anführer. »Sie suchen Ihr Kind, stimmt’s?«
Gute Idee, dachte Schwarz und nickte mit ernster Miene. »Ja, meine beiden
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