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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Probst
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nicht weiter mein Leben vermiesen zu lassen. Ich möchte jetzt nur noch nach vorne schauen. Können Sie das verstehen, Herr Schwarz?«
    »Ja, natürlich«, sagte Schwarz, obwohl ihm sofort klar war, dass der Lokführer ihm etwas vormachte. Er hatte offenbar begriffen, von wem er beobachtet worden war, und wollte nicht, dass Licht in die Sache kam.
    »Sie sind mir hoffentlich nicht böse, Herr Schwarz?«
    »Aber nein. Es ist Ihre Entscheidung. Dann gute Fahrt, Herr Engler.«

8.
    Eine Woche später war das
Loft
in der Landsberger Straße nicht mehr wiederzuerkennen. Hildegard Schwarz hatte mit Hilfe einiger Freunde von Jo nicht nur eine geblümte Schlafcouch und ein Ungetüm von Kleiderschrank aus ihrem Häuschen in Waldram nach München transportiert, sondern auch ein Küchenbüfett, zwei Polstersessel, einen Paravent und mehrere Ölbilder zweifelhafter Qualität. Schwarz’, bis dahin selten ordentliche, aber doch funktionale Wohnung glich nun einem Trödelladen. Er musste bei allem, was er suchte, seine Mutter fragen – bei seinen Lieblingsschuhen, seiner italienischen Espressotasse und dem, zugegeben leicht beschädigten, Fön, den sie aus Sicherheitsgründen im Müll entsorgt hatte.
    Auch ihr Lebensstil und ihre Interessen waren zu unterschiedlich für eine Wohngemeinschaft. Sie liebte Telenovelasund Doku-Soaps, er benutzte den Fernsehapparat ausschließlich zum Abspielen seiner Sammlung klassischer Krimis und Thriller. Sie kochte intensiv riechende Eintöpfe mit Lauch, Kohl, Zwiebeln und Kraut, während er lieber eine Pizza in den Ofen schob oder gleich unten im ›Koh Samui‹ aß. Sie fand, dass ein fast fünfzigjähriger, leicht übergewichtiger Mann nicht in Unterhosen durch die Wohnung laufen sollte, er, dass Wäsche grundsätzlich zum nahen Waschsalon gebracht und auf keinen Fall in der Wohnung zum Trocknen aufgehängt werden durfte.
    Anton Schwarz tröstete sich damit, dass seine Mutter ja nur vorübergehend bei ihm wohnte: Sie hatte von »einigen Wochen« gesprochen. Zwar deuteten gewisse Anzeichen, wie der aufwändige Möbeltransport, auf längerfristige Pläne hin, doch da mochte er sich täuschen. Er hätte natürlich Klartext sprechen können, aber das Risiko, dass seine Mutter ihn missverstand, war ihm zu groß. Er wollte auf keinen Fall, dass sie ihn für undankbar hielt. Schließlich hatte er ihr nie vergessen, dass sie ihn in schwierigen Zeiten ohne jede männliche Unterstützung großgezogen hatte.
    Insgeheim hatte Schwarz gehofft, seine Wohnung wäre für jemanden, der bisher im beschaulichen Waldram gelebt hatte, viel zu laut. Er hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass die Landsberger eine der am meisten befahrenen Münchner Straßen sei, und viele Anwohner wegen des unerträglichen Lärms und der hohen Luftverschmutzung krank würden. Doch seine Mutter schlief selig hinter ihrem Paravent, während er neuerdings nicht nur an Einschlaf-, sondern auch an Durchschlafstörungen litt.
     
    Auch heute stand Anton Schwarz wieder mitten in der Nacht auf und rückte seinen Deckchair an eines der Fenster. Er blickte in den blauschwarzen Himmel, der durch sich kreuzendeStromleitungen in unregelmäßige Rechtecke zerteilt war, und hörte seiner Mutter beim Schnarchen zu. Sie schnarchte dezent und klang dabei sehr zufrieden. Überhaupt hatte Schwarz sie lange nicht mehr so ausgeglichen erlebt. Sie schien völlig mit sich im Reinen zu sein. Vielleicht, dachte er, hat sie ja immer gehofft, dass die Wahrheit über ihre jüdische Herkunft ans Licht kommt. Vielleicht hat sie es sogar selbst eingefädelt, dass ich sie von ihrer Lebenslüge befreie. Wenn sie mir wirklich böse wäre, würde sie doch jetzt nicht bei mir wohnen.
    Sie war also da. Unübersehbar und unüberhörbar. Und daran würde sich, wenn er den Tatsachen ins Auge sah, so schnell auch nichts ändern. Außer, er hätte eine geniale Idee.
     
    »So wird nie was aus dir, Anton.« Seine Mutter stand vor dem Deckchair und klopfte mit dem Zeigefinger auf ihre Uhr. »Es ist fast zehn, und du liegst hier faul rum. Hast du etwa in dem Stuhl übernachtet?«
    »Nein, ich bin nur früh aufgewacht und habe mich noch mal kurz hingelegt.«
    Sie ließ sich nichts vormachen. »Warum schläfst du nicht, wenn es dunkel ist?«
    »Weil ich nicht kann.«
    »Hast du Sorgen?«
    »Nein.«
    »Anton, du musst mir sagen, wenn dich was bedrückt.«
    Er hüstelte. »Machst du mir einen Espresso?«
    »Immer trinkst du diesen starken Kaffee. Und dann wunderst du dich, dass du

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