Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Probst
Vom Netzwerk:
Selbstbedienungstheke an den Tisch servierte.
    »Ich habe vergessen, was für die armen Hirsche mitzunehmen«, sagte sie.
    »Sie sind nicht arm, nur fett und träge. Hier, dein Emmentaler und dein Rettich. Willst du die Hälfte von meinem Wurstsalat?«
    Sie schüttelte den Kopf. Schwarz merkte erst jetzt, wie hungrig er war, und begann sofort zu essen. Seine Mutter schaute ihm zu und wartete geduldig, bis er zum ersten Mal aufsah.
    »Was ist? Schmeckt’s dir nicht?«
    »Ich kriege nichts runter, solange du die Karten nicht auf den Tisch legst. Was willst du?«
    »Nur deine Gesellschaft.«
    »Blödsinn. Du möchtest, dass ich wieder ausziehe, und weißt noch nicht, wie du es mir beibringen sollst.«
    Er sah sie überrascht an. Sie hatte also begriffen, dass ihre Wohngemeinschaft für ihn nicht die ideale Lebensform war.
    »Ich kann es verstehen, dass ein alleinstehender Mann in den besten Jahren von etwas anderem träumt als von einem Leben mit einer alten Schachtel. Vor allem, wenn es sich um die eigene Mutter handelt.«
    Ich bin nicht alleinstehend, wollte Schwarz widersprechen, ich habe eine Frau. Doch da fiel ihm ein, dass er ja mit dieser Lebensphase heute endgültig abgeschlossen hatte.
    »Ich bin für alle Lösungen offen«, sagte seine Mutter, »ich will nur nicht nach Föhrenwald zurück.«
    »Es heißt Waldram.«
    »Ich weiß, seit über fünfzig Jahren.«
    Schwarz spießte die letzte, von Essig und Öl triefende Wurstscheibe und einen Zwiebelring auf seine Gabel. Während er kaute, sah er, wie aus den Blättern der Kastanie überihnen eine Ameise auf den Blusenkragen seiner Mutter fiel. Er wischte sie mit seiner Serviette weg.
    »Danke. Ich kann mein Häuschen verkaufen, die Nachbarin interessiert sich dafür. Sie hofft, dass ihre Tochter einzieht.«
    »Aha.«
    »Von dem Geld kaufe ich mir dann eine kleine Wohnung. Hier in München. Du schaust so skeptisch?«
    »Nein, ich bin nur überrascht, wie schnell du   …«
    »In meinem Alter hat man nicht mehr so viel Zeit. Eine andere Möglichkeit wäre es, Eva zu fragen, ob wir gemeinsam was mieten.«
    »Eva? Eva Hahn?«
    Sie nickte.
    »Ihr habt euch gestern erst kennengelernt.«
    »Und heute schon eine Stunde telefoniert. Ihre Eltern sind dauernd auf Reisen, und allein fühlt sie sich nicht wohl in ihrem großen Haus.«
    Schwarz freute sich über die spontane Sympathie zwischen seiner Mutter und Eva, doch welcher vernünftige Mensch beschloss nach einer einzigen Begegnung, eine Wohnung zu teilen? Oder war er nur neidisch, weil Eva in drei Stunden mehr über die jüdische Vergangenheit seiner Mutter herausgefunden hatte als er in seinem ganzen Leben?
    »Ich finde, du solltest nichts überstürzen, Mama. Mich stört es nicht, wenn du noch eine Weile bei mir wohnst.«
    Sie zog misstrauisch eine Augenbraue nach oben.
    »Ich bin doch froh, dass wir uns so gut verstehen. Wenn ich sehe, was für Abgründe sich in anderen Familien auftun   …«
    Er dachte an die Englers und die heftigen Spannungen, die dort zutage getreten waren.
    Seine Mutter schnitt ein Stück Emmentaler ab, salzte und pfefferte es und ließ es auf ihrem Teller liegen. »Ich versteheüberhaupt nichts mehr. Ich war mir sicher, dass du mich lieber heute als morgen loshaben willst.«
    Schwarz wischte sich einen Regentropfen von der Stirn. »Nein, da täuschst du dich.«
    Warum gab er ihr nicht recht? Er könnte es charmanter formulieren, aber in Wahrheit konnte er den Tag nicht erwarten, an dem er seine Wohnung wieder für sich alleine hatte. Vor allem, nachdem er jetzt wirklich und mit voller Überzeugung Single war.
    Nun äußerte seine Mutter zu seiner Verblüffung konkrete Auszugspläne und er ermutigte sie nicht? Er verstand sich selbst nicht mehr.
    Hildegard Schwarz blickte nach oben. Schwere Regentropfen trommelten auf das Blätterdach über ihnen. Erstaunlicherweise hielt es dicht und sie saßen weiter im Trockenen.
    Es ist wahrscheinlich so, dachte Schwarz, dass mein limbisches System keine zwei Trennungen an einem Tag verträgt – morgens von meiner Frau und mittags von meiner Mutter.
    »Ich soll mir also Zeit lassen?«, fragte sie.
    »Du sollst nicht, aber du kannst.«
    »Ah.«
    Sie sah nicht so aus, als hätte sie die Botschaft verstanden, und ihm ging es genauso.
    Da kitzelte Schwarz etwas im Nacken. Er fischte eine Ameise unter seinem Hemd hervor, seine Mutter schob eine andere mit dem Messer von ihrem Käse. Das war der Auftakt einer Invasion. Der plötzliche Regen vertrieb die

Weitere Kostenlose Bücher