dämpfte die Stimme. »Es wäre die Rettung.«
»Ich verstehe nicht, Herr Engler.«
»Nein? Überlegen Sie doch mal, was das für meinen Vater bedeuten würde, wenn der Mann, den er überfahren hat, gar nicht sterben wollte.«
Schwarz schaute skeptisch. »Sie meinen, der zweite Mann könnte ihn genötigt haben?«
»Oder sogar vor die Lok gestoßen. Das wäre doch möglich.«
Schwarz nahm noch einen Schluck Wasser.
»Herr Schwarz, für einen Lokführer, der einen Suizid erlebt, ist es das Schlimmste, dass er dafür niemanden zur Rechenschaft ziehen oder hassen kann. Weil der Selbstmörder genauso bedauernswert ist wie er selbst.«
Schwarz begriff. »Das wäre im Fall eines Mordes anders.«
»Ja, klar«, rief Engler erregt. »Sie müssen mir diesen zweiten Mann liefern.«
»Ich liefere niemanden«, sagte Schwarz. »Mein Job ist es, die Wahrheit herauszufinden. Und damit gehen meine Auftraggeber dann meistens zur Polizei.«
»Ist doch selbstverständlich«, sagte Engler schnell. Verdächtig schnell. Aber das registrierte Schwarz in diesem Moment nicht.
Anton Schwarz trat auf die Terrasse und blickte zu den schlanken Türmen der Ludwigskirche, die über die Dächer hinausragten. Er brauchte einen Moment Zeit für seine Entscheidung. Englers Mordthese klang ihm sehr nach Verschwörungstheorie, andererseits, es gab nichts, was es nicht gibt. Diese Erfahrung hatte er bei der Kripo und später als Privatermittler immer wieder gemacht.
Aber hätte Buchrieser eine Spur in diese Richtung übersehen? Sein alter Kollege mit dem berühmten kriminalistischen Instinkt? Sicher, er wartete seit geraumer Zeit nur noch auf die Pensionierung und hatte seine alte Leidenschaft für die Ermittlungsarbeit längst verloren. Aber es war nicht Buchrieser, der Schwarz zögern ließ. Ihn verunsicherte etwas anderes: es wäre innerhalb kurzer Zeit der zweite Auftrag eines Mitglieds der Familie Engler. Nachdem Klaus Engler zunächst unbedingt die Identität seiner Beschatter geklärt haben wollte, hatte er dann den Auftrag Hals über Kopf zurückgezogen.Nun sollte Schwarz erneut die Identität eines Unbekannten klären. Das ließe sich notfalls unter Zufall verbuchen. Was ihn verstörte, war die seltsame Parallele zum Selbstmord von Tim Burger. Der Gedanke, dass ein Mensch sein Leben exakt an der Stelle vor der Lok desselben Lokführers ausgelöscht hatte, erschien ihm aberwitzig.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Herr Engler«, sagte Schwarz. »Ich rede erst mit dem Zeugen und entscheide hinterher, ob ich den Auftrag annehme. So spare ich
mir
möglicherweise Zeit und Ihnen Geld.«
»Einverstanden. Darf ich Sie nach Ihrem Tagessatz fragen?«
»Zweihundertfünfzig«, sagte Schwarz.
Engler schluckte und setzte dann ein lässiges Grinsen auf. »Da bekommt ja der Bahnvorstand weniger. Trotzdem.« Er hielt ihm wieder die Hand hin.
Diesmal schlug Schwarz ein.
19.
Es war nur eine kleine Meldung: »Störung bei der Bahn. Am späten Freitagabend kam es im Raum München zu erheblichen Behinderungen des Güter- und Fernverkehrs. Ursache war offenbar ein Personenschaden
.
«
Novalis, der regelmäßig alles rund um das Thema Suizid googelte, starrte auf die Online-Ausgabe eines Anzeigenblattes. Ihm wurde flau im Magen. Er tippte hastig die Adresse der ›Süddeutschen‹ ein, aber sie berichtete genauso wenig über den Vorfall wie die anderen Münchner Blätter. Novalis wusste, dass die Presse sich dazu verpflichtet hatte, möglichst wenig über Bahnsuizide zu schreiben, um keine Nachahmerauf den Plan zu rufen. Darüber war auch bei www.muenchner-freitod.de heiß diskutiert worden.
Er öffnete sein Archiv und fing zu suchen an. Eine sinnlose Aktion, er wusste genau, dass Amok und Cobain nicht wieder aufgetaucht waren.
Amok
: Ich habe die Info, dass er bald wieder fährt.
Cobain:
Das heißt, du kennst ihn?
Amok
: Nicht hier. Gib mir deine Adresse, ich melde mich.
Cobain
:
[email protected].
Das waren ihre letzten Einträge gewesen.
Novalis sprang auf, lief zum Fenster und zog die Rollos hoch. Er war überrascht, wie hell es draußen war, und hielt schützend die Hand vor die Augen. Der Gehweg unten wurde geteert. Eine kleine Walze glättete die zähe, schwarze Masse. Novalis öffnete das Fenster. Der Geruch erinnerte ihn an seine Kindheit. Seine Großmutter hatte mit ihm oft den Asphaltierungsarbeiten zugesehen. Sie war davon überzeugt, dass seine Lungen durch die Dämpfe gekräftigt würden. Novalis sog gierig den Teergeruch