Personenschaden
seufzte tief. »Es ist leichter bei jemandem, der einen nicht kennt. Viel leichter.«
»Aber es ist mein Recht, zu erfahren, wo ich herkomme.«
»Ich weiß.«
»Warum erzählst du nicht mal was von deiner Mutter?«
»Meiner Mutter?« Sie starrte ihn erschrocken an.
»Ja, was für ein Mensch war sie?«
Schwarz sah, dass ihr Tränen in die Augen traten. Ihre Hilflosigkeit rührte ihn. Er nahm sie in den Arm. »Schon gut. Tut mir leid.«
Sie zwang sich zu lächeln. »Dann weihe ich jetzt deine Menora ein. Der Schabbes hat zwar schon vor ein paar Stunden begonnen, aber so gesetzestreu sind wir nicht.«
Schwarz brachte ihr Streichhölzer und sah zu, wie sie die sieben Kerzen anzündete.
»Musst du nicht irgendwas beten?«
Sie zuckte verlegen die Achseln.
»Du hast es vergessen?«
»Wir waren nie ein richtiges jüdisches Haus. Meine Mutter hat nur gebetet, wenn mein katholischer Vater länger auf Geschäftsreise war. Außerdem will ich keinen Fehler machen. Das bringt sicher Unglück.«
»Verstehe: Du bist zwar nicht religiös, dafür aber abergläubisch.«
»An irgendwas muss ich mich ja festhalten.« Sie schob ihren Sessel vor die Menora und sah andächtig dem Flackern der Kerzen zu.
Schwarz war jetzt doch neugierig, was er von Monika bekommen hatte. Es war eine CD, ›Echoes‹ von Pink Floyd, zur Erinnerung an ihr erstes gemeinsames Konzert. Schwarz fragte sich, ob Monika vergessen hatte, dass sie auch damalsmit einem anderen zusammen gewesen war. Sie hatten sich immer nur heimlich treffen können und es hatte Monate gedauert, bis sie sich endlich ganz für ihn entschied.
Den Zettel, der innen an der Verpackung klebte, hätte er beinahe übersehen: Besuch mich doch morgen. Justus ist auf Fortbildung.
In dieser Nacht wurde Anton Schwarz wieder von seinem Alptraum gequält. Er stand hilflos vor der im Schotter liegenden Hand und schaffte es weder, sich nach ihr zu bücken, noch sich vor dem heranrasenden Zug in Sicherheit zu bringen. Er schrie verzweifelt.
»Anton, was hast du denn?«
Schwarz versuchte, zu begreifen, wo er war und wer mit ihm sprach. »Monika?«
Neben ihm stand seine Mutter und reichte ihm ein Glas Wasser. »Du wirfst dich schon die ganze Zeit im Bett herum und redest im Schlaf. Was ist denn los?«
Er trank hastig. »Ich weiß nicht.«
Aber das stimmte nicht. Er wusste genau, was los war. Er hatte die Stunde, die er zum Einschlafen brauchte, dazu genutzt, Bilanz zu ziehen. Er war fünfzig. Er hatte einen interessanten Beruf, von dem er einigermaßen gut lebte. Er hatte Freunde, auf die Verlass war. Für die Geschichte mit seiner Mutter würde er noch viel Geduld brauchen, aber etwas war in Bewegung gekommen.
Es gab nur ein ungelöstes Problem in seinem Leben – wenn er sich nicht vor sich selbst lächerlich machen wollte, musste er dafür endlich eine Lösung finden.
15.
Schwarz hatte noch immer den Schlüssel zu seinem Haus in Untermenzing, das seiner Ansicht nach eines der schönsten Reihenmittelhäuschen der Stadt war. Die Spalierrosen waren in diesem Jahr so gewachsen, dass sie die verblichenen, blauen Fensterläden zum größten Teil überdeckten und schon morgens einen unvergleichlichen Duft ausströmten. Schwarz erinnerte sich noch gut an seine Panik, als sie den Kreditvertrag unterschrieben hatten, aber auch an das Glücksgefühl, als sie sich zum ersten Mal im Schlafzimmer unter dem Dach geliebt hatten.
Es war kurz nach zehn. Wie er Monika kannte, schlief sie noch. Sie war gestern fast bis zum Ende der Party geblieben, außerdem war ihre Arbeit als Direktorin eines Pasinger Gymnasiums aufreibend, sodass sie am Wochenende dringend Kraft tanken musste. Vielleicht war auch Justus noch da und brach erst später zu seiner Fortbildung auf. Aber das war Schwarz egal. Er stieg die Treppe zum Schlafzimmer hoch und klopfte an die Tür.
»Ja?«
»Ich bin’s.«
»Anton, komm rein.«
Sie lag im Bett und blinzelte ihm entgegen. »Du hast es aber eilig.« Sie streckte lächelnd die Arme nach ihm aus.
Schwarz blieb auf der Schwelle stehen.
»Keine Angst, Justus ist weg.«
Schwarz schüttelte stumm den Kopf.
»Stimmt was nicht?«
Ihr Nachthemd war über eine Schulter gerutscht und er konnte ihre Brust sehen. Er sehnte sich danach, sie zu berühren und zu küssen. Er hatte es immer geliebt, wenn Monika noch verschlafen und bettwarm war.
»Jetzt komm halt, Anton.« Ihre Stimme war sanft und verführerisch.
»Nein.«
Monika richtete sich auf und sah ihn fragend
Weitere Kostenlose Bücher