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Perth

Perth

Titel: Perth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Martin
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hinein und erklomm die Berge, wo es weniger gefährlich für sie war. So wie ich Perth kenne, bin ich sicher, dass sie in die Berge lief. Vielleicht hatte sie Glück und fand den so genannten Long Trail , der sich bergauf bergab nach Norden schlängelt. Auf diesem Wanderweg kam sie womöglich am Brandon Gap vorbei, lief beim Gillespie Peak auf einer Höhe von dreitausend Metern entlang und suchte vielleicht für kurze Zeit Unterschlupf an Orten wie dem Middle-bury College Snow Bowl Skizentrum. Dann rannte sie weiter in Richtung Norden, überquerte den Middlebury River, bahnte sich dann einen Weg hinunter in die steile, tiefe Lincolnschlucht und erklomm die Hänge von hohen Gipfeln wie dem Mount Abraham. Nachts, wenn die herrlichen Berge im Dunkeln lagen, übermannte sie wahrscheinlich der Schlaf, wenn sie nicht zu hungrig war.
    Der Long Trail windet sich bis zur kanadischen Grenze hinauf, aber aus irgendeinem Grund stoppte Perth im Mount Mansfield State Forest an einem heruntergekommenen Campingplatz namens Campersville , der wunderschön zwischen Tausenden von weißen Birken am Lake Mansfield liegt. Sie hatte hundertzwanzig Kilometer Luftlinie zurückgelegt, aber bei diesem Gelände und mit all den Umwegen, um Nahrung zu finden, waren es wahrscheinlich eher an die dreihundert. Sie machte nur sechzig Kilometer vor der kanadischen Grenze Halt. Irgendein inneres Radarsystem hielt sie davon ab, weiter zu laufen. Vielleicht wurden die Nächte zu kalt, oder sie war einfach zu hungrig und zu müde. Vielleicht lag es auch an einem instinktiven, unerklärlichen Drang, eine Pause zu machen, abzuwarten.
    Campersville ist ein Kaff, in dem man sein Zelt für wenig Geld übers Wochenende aufschlagen oder schnell mal seinen Wohnwagen hinstellen kann. Der nächste Ort, in dem der Besitzer des Campingplatzes wohnt, ist zehn Kilometer entfernt. Es gibt ein einfaches Haus am Campingplatz, das von dem Campingwart Emile Desmond, einem Frankokanadier, bewohnt wird, der kaum lesen und schreiben kann. Er sammelte den Müll auf, nahm das Geld entgegen, mähte den Rasen und räumte im Winter mit dem Schneepflug die Straße. Er wohnte dort mit seiner Frau und seinem zehnjährigen Sohn, Robert. Sie waren sehr arm. Perth entschloss sich, hier bei diesen Menschen am See ihr Glück zu versuchen.
    Und sie hatte tatsächlich Glück. Emile Desmond war ein einfacher, unkomplizierter Mann. Er hatte abgesehen von seinem Job nicht viel zu tun und mochte Perth von Anfang an. Ihr stand alles zur Verfügung, das Haus, der Campingplatz, der See, der riesige Wald sowie endlos viel zu fressen, vor allem bei den Grillplätzen nichts ahnender Camper. Emile hatte einen guten Draht zu Hunden und wusste, dass er sie nicht zu etwas zwingen durfte, was sie nicht wollte. Er überschüttete sie nicht mit Zuneigung, ignorierte sie aber auch nicht. Er machte kein großes Aufhebens um sie, was Perth wunderbar passte. Er war überrascht, wie viele Tricks sie konnte, und schloss daraus, dass sie ein überaus intelligenter Hund war. Wenn er mit seinem Pick-up losfuhr, um seine täglichen Aufgaben auf dem Campingplatz zu erledigen, sprang sie auf die Ladefläche und fuhr mit. Als der Herbst mit seiner wunderbaren Farbenpracht kam und verging und der Winter vor der Tür stand, waren sie dicke Freunde. Man sah sie überall zusammen.
    Mr. Desmonds Sohn Robert verliebte sich ebenfalls in Perth. Der Junge war zu Hause oft einsam, da es niemanden in seinem Alter gab, mit dem er spielen konnte. Perth war wie ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk für ihn. Nachts schliefen sie zusammen, tagsüber erkundeten sie den See und wanderten meilenweit durch Hügel. Als es Anfang November schneite, spannte Robert einen zotteligen Esel vor einen alten Schlitten und ließ sich mit Perth auf den Waldpfaden ziehen. Sie saß auf dem hölzernen Sitz neben ihm und blickte gespannt in alle Richtungen.
    Die Familie entdeckte schnell Perths Eigenheiten — ihr heftiges Zucken, wenn sie im Schlaf träumte, ihre nächtliche Vorliebe für Roberts Bett, ihr Repertoire von Kunststücken, ihr Talent, an den Grillplätzen Steaks zu ergattern, ihr Interesse an Müll und ihr anhaltendes alarmierendes Heulen und Bellen, wenn sie aufgeregt war. Dabei stellte sich das Fell an ihrer Wirbelsäule auf, und ihre Muskeln spannten sich wie eine Bogensehne. Eine Sache gab ihnen Rätsel auf. Es war das seltsame Abzeichen in ihrem Ohr. Zunächst dachte Mr. Desmond, dass es eine Narbe von einer Wunde war, die sie sich bei

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