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Pesch, Helmut W.

Pesch, Helmut W.

Titel: Pesch, Helmut W. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Kinder der Nibelungen
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gut verstehen. Sein ganzes Leben lang hatten ihn Unsicherheit und Angst geplagt. Darum wusste er nur allzu genau, was in ihr vorging.
    Allein die Ungewissheit jagte Gunhild fast schon mehr Furcht ein als die Schwarzalben. Ihr Selbstvertrauen, das war stets ihr Halt gewesen. Es hatte sie stark und oft genug zu Siggis Schutzschild gemacht, hinter den ihr kleiner Bruder flüchten konnte. Doch jetzt hatte sie zum ersten Mal völlige Hilflosigkeit verspürt – und was war an diesem ungewissen Ort überhaupt noch sicher?
    Siggi kannte dieses Gefühl. Aber diesmal – er wusste nicht warum
    – schien er es in den Griff kriegen zu können, ohne davonlaufen oder sich hinter seine große Schwester verkriechen zu müssen. Bezwingen konnte er seine Angst zwar nicht. Doch er kam damit zurecht, nahm die Unsicherheit hin wie einen ungewollten Sitznach-barn im Bus.
    Vielleicht lag es daran, dass er den Swart-alfar aus eigener Kraft entwischt war – natürlich dank des Ringes in seiner Tasche. Oder lag es vielleicht gar an dem Ring selbst, den er schwer an seinem linken Oberschenkel in der Hosentasche fühlte, dass er nicht das Opfer seiner eigenen Schwäche wurde?
    Andere Fragen quälten ihn mehr, genau wie sie Gunhild auf der Seele lagen. Was, wenn der Graue sich geirrt hatte? Wenn da nicht die Lichtalben kämen, sondern ihre unheimlichen, finsteren Verfolger? Die hatten sie durch den Wald und dann wieder durch die Höhle gehetzt, wie eine Hundemeute den Fuchs jagt. Was, wenn die Lichtalben sie ebenso wenig mochten wie die Swart-alfar?
    Die Schritte kamen immer näher, aber zu sehen war noch nichts.
    Dann tauchten ungewisse Schatten auf, die nicht eindeutig zuzu-ordnen waren. Siggi und Gunhild fassten sich an den Händen.
    Der Graue neben ihnen hatte kein Auge für die Kinder, er starrte erwartungsvoll in die Tiefe. Er schien sich, wie Siggi mit einem kurzen Blick feststellte, seiner Sache wieder sicher zu sein. Der Alte strahlte wieder die Kraft und Selbstsicherheit aus, die er gezeigt hatte, als sie ihm das erste Mal begegnet waren. Das Lächeln war auf sein Gesicht zurückgekehrt.
    Für Siggi aber war er nicht mehr derselbe. Anfangs hatte er zu dem geheimnisvollen Fremden aufgeschaut, hatte ihn irgendwie be-wundert. Aber seine offensichtliche Orientierungslosigkeit in den Gängen, sein Eingeständnis verlorener Macht; all das hatte Siggi misstrauisch gemacht. Er hatte das Gefühl, dass diese zur Schau getragene Überlegenheit nicht echt war – oder vielleicht eine Rolle, die früher einmal Sinn gehabt hatte, aber inzwischen längst über-holt war.
    Der Junge wandte seinen Blick wieder von den wandernden Schatten ab und ihrem Begleiter zu. War da nicht wieder der Ausdruck wilder Hoffnung in seinem Gesicht, den der Graue bei der Nennung ihres Namens gehabt hatte? Siggi konnte sehen, wie die ledrige Haut über der leeren Augenhöhle zuckte, als würden darunter Würmer hausen.
    »… vielleicht habe ich die Chance, die Geschichte so zu wenden, wie ich es damals nicht vermochte …«, klang wie ein Echo die Stimme des Alten in Siggi auf.
    Was hatte er damit gemeint? Warum glaubte der Graue, dass sich hier etwas wiederholte? Welche Geschichte überhaupt?
    Fragen ohne Antwort. Der Mann wurde ihm immer rätselhafter.
    Wahrscheinlich konnte der Graue viele dieser Rätsel aufklären, aber würde er die Wahrheit sagen? Hatte er überhaupt bisher die Wahrheit gesagt?
    Die Schritte waren nun deutlich näher gekommen. Siggi hielt den Atem an. Er konnte, ebenso wie Gunhild, den Blick nun nicht mehr von den Schatten wenden, die mehr und mehr an Kontur ge-wannen. Er hatte das Gefühl, sein Herz würde so laut schlagen, dass es jeder im Umkreis von hundert Metern hören musste.

    In dem Moment traten vier Gestalten aus dem Halblicht hervor.
    Es war sofort zu erkennen, dass es Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede zwischen ihnen und den Schwarzalben gab.
    Auch die Lios-alfar waren klein von Gestalt. Selbst Siggi war grö-
    ßer als sie. Aber sie waren schlanker als ihre dunklen Vettern und wirkten so größer. Ihre Haut war hell, sodass Siggi die Gesichter gut erkennen konnte. Einen genauen Vergleich zu ihren Widersa-chern konnte der Junge nicht anstellen, da er von diesen nur flüchtige Eindrücke vor Augen hatte. Für ihn waren die Swart-alfar dunkle, gesichtslose Schrecken, Schatten, die unheilvoll drohend aus der Finsternis gekommen waren.
    Doch wegen der hellen, fast weißen Haut der Lichtalben, waren ihre Züge gut zu erkennen. Der

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