Pesch, Helmut W.
Lios-alf, der zuerst um die Biegung herumgekommen war, schien noch recht jung zu sein. Sein Gesicht hatte etwas Draufgängerisches. Ein Lächeln umspielte seine Mund-winkel. Seine Augen blickten freundlich, überhaupt nicht bedrohlich und gefährlich.
Er trug eine silbergraues, ledernes Wams, das mit Ringen besetzt war, und eine ebenfalls aus Leder gefertigte Hose von etwas dunklerer Farbe. Seine linke Seite zierte ein Schwert, dessen Griff aus einer Scheide aus festem Leder ragte. Es war länger als ein Unterarm.
An seiner rechten hing ein Dolch, dessen silberner Griff wie eine verkleinerte Ausgabe des Schwertes aussah.
»Die dunkle Brut ist weg«, meldete eine Stimme hinter ihnen.
Siggi und Gunhild zuckten zusammen, und dem Jungen entfuhr ein leiser Aufschrei. Sie blickten sich um und sahen ein gutes Dutzend der hellhäutigen Wesen, die hinter ihnen im großen Höhlendom an Eingang des Ganges standen.
»Wer wird denn so schreckhaft sein?«, lachte der junge Lichtalbe, den Siggi gemustert hatte. »Erst liefert er den Swart-alfar einen großen Kampf, und dann erschrickt er.«
»Ich hatte hinter mir keinen mehr erwartet«, sagte Siggi.
»Du musst immer und aus jeder Richtung jemanden erwarten, denn überall lauern Gefahren«, entgegnete der Lios-alf ernst. »Ich bin Laurion, Hauptmann der Späher, zu deinen Diensten«, stellte er sich vor und deutete dabei eine Verneigung an.
»Ich bin Siggi, zu deinen Diensten«, entgegnete der Junge, die gleiche Redewendung benutzend, und verbeugte sich ebenfalls. Er kam sich vor wie in einem Theaterstück. »Das ist meine Schwester Gunhild.«
Gunhild deutete einen Knicks an und lächelte. Auch sie schien sogleich Vertrauen zu dem jungen Lichtalben gefasst zu haben.
»Willkommen, schöne Maid«, fuhr dieser fort. »In unserem Reich liegt Euch alles zu Füßen. Gebietet mir, und ich werde Euch dienen.«
Gunhild wusste nicht, wie ihr geschah. Waren das nur Höflich-keitsfloskeln, oder war das ernst gemeint? Aber etwas an diesen Worten berührte sie tief, und so schwieg sie nur und verneigte sich.
»Ich brauche mich wohl nicht vorzustellen«, knurrte der Graue.
»Es ist gut, das ihr in der Nähe wart. Die dunkle Brut hatte uns in der Falle.«
»Warum seid ihr nicht über den Großen Pfad gekommen?«, fragte Laurion den Alten. »Ihr wisst doch, Alberichs Dom ist seit Ewigkeiten umkämpftes Gebiet. Hier kommt es immer wieder zu Scharmützeln zwischen Ymirs Brut und uns.«
Siggi glaubte aus der Stimme einen Vorwurf herauszuhören. Auch hatte er das Gefühl, dass Laurion dem Alten nicht die Ehrerbietung entgegenbrachte, die der Graue zu erwarten schien. Ein Blick auf den Alten schien das zu bestätigen, denn für einen Moment zuckte es um die leere Augenhöhle des Alten.
»Ich bringe euch diese Kinder Midgards«, sagte der Graue, und der alte Gesichtsausdruck war wieder da, nichts war mehr von dem Ärger zu sehen, der kurz über sein Antlitz gehuscht war. »Diese beiden und ein weiterer Junge, der in einen anderen Gang geflüchtet ist, sind dreimal um Mimirs Brunnen getanzt.«
Hagen!
Siggi und Gunhild hatte den Gefährten völlig vergessen. Was war wohl aus ihm geworden? Hatten ihn die Dunkelalben gefangen, oder irrte er irgendwo durch die Gänge? Trotz der Meinungsver-schiedenheiten zwischen ihnen drückte Siggi ihm beide Daumen, dass die Lichtalben ihn fanden. Und dann würden sie wohl ein paar Dinge klären müssen.
»Wir suchen schon nach ihm«, hörte Siggi Laurion antworten.
»Er ist in Richtung der Mitternachtsquelle unterwegs. Vielleicht finden wir ihn.«
Für einen Moment schwiegen alle. Siggi sah sich die Lichtalben genauer an. Alle trugen graue Gewänder mit aufgenähten Ringen aus einem silbernen Metal ; ob es sich dabei um eine Uniform handelte oder einfach nur die gängige Kleidung, ließ sich nicht sagen.
Die meisten trugen Schwerter oder lange Dolche bei sich, einige auch Speere mit schmalen, länglichen Klingen. Ihre Gesichter waren freundlich, aber ansonsten ausdruckslos. Sie überließen Laurion das Reden, welcher der Freundlichste und Aufgeschlossenste von ihnen zu sein schien; vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass er ihr Anführer war.
»Junge, du bist schnell auf den Füßen«, wandte Laurion sich an Siggi. »Unsere Späher, die euch mir gemeldet haben, konnten sehen, wie du auf deinen langen Beinen den Swart-alfar in den hinteren Teil von Alberichs Dom davongelaufen bist. Leider haben sie nicht gesehen, wie du von da hierhergekommen
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