Pesch, Helmut W.
bist. Wenn wir da-rüber«, lachte der Lichtalbe, »ein Heldenlied singen sollen, musst du uns den Rest der Geschichte noch erzählen.«
Siggi war fast zusammengezuckt, als Laurion die Späher erwähnte, konnte sich aber gerade noch beherrschen, als ihm klar wurde, das sein Geheimnis offensichtlich unentdeckt geblieben war.
»Ich …«, sagte Siggi und versuchte Laurion abzulenken, »ich fand es eher feige wegzulaufen.«
»Feige?«, entfuhr es Laurion. »Es ist nicht feige, davonzulaufen, wenn man unbewaffnet auf kampferprobte Gegner trifft. So bleibt man am Leben und kann mit einer Waffe zurückkehren, um es dem Feind heimzuzahlen.«
Der junge Anführer der Lichtalben sah Siggi ernst an. »Es wäre im Gegenteil dumm, sein Leben wegzuwerfen.« In seinen Worten schwang keinerlei Hohn und Spott mit, sondern vielmehr Ehrlich-keit.
»Du meinst, es ist keine Schande, wenn man flieht?«, fragte er zurück.
»Manchmal«, sagte Laurion, »ist es klüger zu rennen, als das Heil im Kampf zu suchen. Jeder gute Krieger weiß das.«
»Laurion«, wandte sich einer der anderen Lichtalben an ihren Hauptmann. »Wir sollten uns zurückziehen, bevor die dunkle Brut mit Verstärkung zurückkehrt.«
Laurion nickte knapp. »Gehen wir. Reden können wir auch beim Laufen. Wir bringen euch erst mal in Sicherheit, und ihr erzählt mir, wie ihr zu uns gekommen seid.«
Laurion sah Siggi fest an, aber er lächelte freundlich und offen, und Siggi wusste, er mochte den jungen Anführer der Lios-alfar.
Gunhild mochte ihn auch, und zum ersten Mal hatte sie das Ge-fühl, nun wirklich in einem Traum gefangen zu sein, und sie hoffte, dieser Traum würde nicht so bald enden.
Grobe Hände mit kräftigen Griff zogen ihn vorwärts, rissen ihn mit sich, schleiften ihn über den rauen, harten Felsen der Höhle. Hagens Blick war zur Decke des Ganges gerichtet, aber seine Augen waren blicklos, seine Miene von Wut und Scham über die Gefan-gennahme gezeichnet.
Er vermochte nicht zu sagen, wie lange er schon in der Gewalt der Schwarzalben war oder auch nur, in welche Richtung sie ihn schleiften. Seit ihn die dunkle Brut gepackt, gefesselt und geknebelt hatte, sah er seine Umgebung wie durch einen Nebel.
Die Swart-alfar redeten miteinander, aber Hagen konnte und wollte sie nicht verstehen. In ihm wühlte der Gram über seine Gefan-gennahme, die just in dem Moment erfolgt war, als er glaubte, den Verfolgern ein für alle Male entronnen zu sein. Hagen hatte überhaupt keine Gelegenheit gehabt, sich zu wehren. Irgendwie ging alles, was er anpackte, schief. Er fühlte sich als Versager. Siggi hatte ihm den Ring gestohlen, Gunhild hatte ihn zurechtgestutzt, und zu guter Letzt war er in Gefangenschaft geraten, während Siggi und Gunhild noch auf der Flucht waren.
»Halt!«, sprach eine harte, befehlsgewohnte Stimme. »Wen habt ihr da?«
Hagen wurde aus seinem dumpfen Brüten gerissen, und er versuchte einen Blick auf den Sprecher zu erhaschen, aber es gelang ihm nicht.
»Einen Gefangenen aus Midgard, den der Einäugige zu den Lios-alfar bringen wollte«, wurde mit der Stimme von einem der Schwarzalben geantwortet, die ihn schleiften.
»Nehmt ihm die Fesseln ab. Ihr habt das umstrittene Gebiet weit genug hinter euch gelassen. Seit wann berauben wir unsere Gefangenen der Ehre, auf eigenen Füßen vor ihren Richter zu treten.
Allein, dass der Einäugige ihn durch die Anderswelt führte, weist darauf hin, dass er etwas Besonderes ist. Hat der Graue auch nur einen Rest seiner einstigen Macht, so ist doch sein Wissen groß«, schloss die Stimme. »Er muss etwas im Sinn haben …«
»Jawohl, Herr«, war die Antwort des anderen Schwarzalben, in dessen Griff Hagen hing.
Hagen spürte, wie die strammen Fesseln an Armen und Beinen gelöst wurden. Gleich darauf schoss das Blut wieder in Hände und Füße. Es tat weh. Es tat höllisch weh. Es kribbelte wie von tausend winzigen Nadelstichen, und er konnte nicht ohne fremde Hilfe stehen. Hagen hatte Mühe, nicht laut zu schreien. Er sackte in sich zusammen, aber gleich darauf hörte er Schritte auf sich zukommen, und er wurde von kräftigen Händen gepackt und auf die Füße ge-zerrt.
»Ein Knabe aus Midgard«, sagte der Schwarzalbe direkt vor ihm, und zum ersten Mal sah Hagen das Gesicht eines ihrer Jäger.
Er hatte eine dunkle, fast olivfarbene Haut, die ihm auf den ersten Blick ein finsteres Äußeres verlieh, und obwohl ihn der Swart-alf ernst ansah, glaubte Hagen doch zu erkennen, das dieser ihm
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