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Pesch, Helmut W.

Pesch, Helmut W.

Titel: Pesch, Helmut W. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Kinder der Nibelungen
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unendlich langsam, kroch Allvaters blutbefleckte Hand wie eine Spinne über den Boden, färbte den Felsen rot.
    Dann schlossen sich die Finger um den schwarzen Schaft.
    »Mein! Endlich mein!«
    Wieder erzitterte die Erde. Die Kristalle der Grotte klingelten.
    Hagen und Siggi wollten sich schützend vor Gunhild stellen.
    Siggi hielt Mjölnir zum Schlag erhoben, entschlossen, sich dem Gott in den Weg zu stellen, sollte er sich ihnen nähern.
    Das Klingen der Kristalle steigerte sich zu einem gläsernen Klirren, als die ersten von ihnen zu fallen begannen. Odin blickte auf.
    Der Triumph in seinem Auge verwandelte sich zu einer Fratze des Entsetzens, als er sah, was auf ihn zukam.
    Die Kristalle der Grotte hatten die Form eines riesigen, zähnebe-wehrten Rachens.
    Odin hob den Speer, um sie abzuwehren. Doch kein Flammenstoß drang aus seiner Spitze, keine Runenmagie strahlte aus dem nachtdunklen Schaft. Heil und ganz war der Speer, gewiss, aber selbst in der Hand seines Schöpfers war er nicht mehr als ein totes Stück Holz, ohne Zauber, ohne Macht.
    Dann schlossen sich die kristallenen Kiefer mit einem grässlichen Knirschen.
    Gunhild wandte den Blick ab. Hagen schluckte. Nur Siggi sah unverwandt auf das Geschehen. Er hatte so vieles in den letzten Stunden gesehen, das nicht für die Augen Sterblicher bestimmt gewesen war, dass er auch jetzt noch Zeuge sein wollte.
    Die Zähne des Ungeheuers hatten Odins Brust durchbohrt, hatten sich tief in Arme, Unterleib und Beine gegraben. Die Rechte umklammerte immer noch den nutzlosen Speer. Eine einzige Träne war aus dem Auge Allvaters geronnen. Er öffnete den Mund, als ob er noch etwas sagen wollte, doch die Kraft reichte nicht mehr. Das Feuer in seinem Auge flackerte ein letztes Mal auf, dann erlosch es, die kraftlosen Finger öffneten sich, und der Speer rollte aus der Hand des toten Gottes.

    Dann kam ein heißer Wind aus den Tiefen der Welt, mit einem Heulen wie der Stimme eines Wolfes, und der Leichnam zerfiel zu Asche, die der heulende Wind hinwegtrug.
    »Es ist vollbracht«, drang eine von Trauer erfüllte Stimme von oben an die Ohren der Kinder. »Die Götter sind tot. So wie es ihnen vorherbestimmt war, sind sie gestorben: Thor durch die Schlange Jörmungand; Loki durch die Hand Surts, des Feuerriesen; Odin im Rachen des Fenriswolfs.
    Die Götterdämmerung ist da. Ragnarök ist gekommen. Die Feuer Surts werden Muspelheim verlassen und alles in den Höhlen verbrennen, als reinigende Flamme aus dem Leib der Welt.«
    Sie blickten auf. Inmitten des Regenbogenlichts stand die Verborgene Königin über ihnen. Sie wirkte seltsam durchscheinend, und die Kinder erkannten, dass sie nicht in Wirklichkeit hier war, und doch zauberte das gebrochene Licht Reflexe auf ihr weites, fließendes Gewand.
    »Wir alle werden sterben«, sagte sie. »Wir konnten unseren Hass nicht überwinden. Wir haben gedacht, das Böse sei gebannt, glaubten, wir hätten Loki, den Vergifter Asgards, in den tiefsten Feuern Muspelheims in Fesseln gelegt. Doch wir hatten nicht mit seinem Schatten gerechnet, dem dunklen Ich, das in jedem von uns wohnt.«
    »War es Loki, der mir sagte, wie böse Siggi sei?«, fragte Hagen, nicht ohne Hoffnung in der Stimme.
    »O ja«, entgegnete die Erscheinung. »Loki hat auch deine Seele vergiftet, hat dich glauben machen wollen, dass du Siggi hasst, und er hätte es fast geschafft; aber es ist ihm letztlich nicht gelungen.
    Ich habe eingegriffen und den Bann von euch genommen, und als du die freie Wahl hattest, hast du dich für Freundschaft statt für Tod entschieden.«
    »Wie habt Ihr eingegriffen, Herrin?«, fragte Gunhild verwundert.
    »Wir haben nichts davon gemerkt.«

    »Es war das Halsband, das du trägst, Gunhild«, erklärte die Königin, »das mir die Möglichkeit dazu gab. In ihm ruht die Zeit aller Welten. Sagte ich dir nicht, es sei stärker als die mächtigste Waffe?
    In dem Moment, als Hagen den Speer hob, trat ich ein in jene heilige Zeit, in der eine Sekunde wie tausend Ewigkeiten ist, und forderte Loki auf, sich zu zeigen. Fast wäre auch ich seinen Verlockun-gen erlegen, aber dies eine Mal habe ich ihm widerstanden, Gunhild. Ich wünschte, ich hätte sein Spiel früher durchschaut, dann wäre Ragnarök in weite Ferne gerückt, und Alberichs und mein Volk würden in Frieden nebeneinander leben. Aber es ist zu spät.«
    Tiefes Bedauern sprach aus ihren Worten. Und die Kinder begriffen, dass keine Macht dieser Welt jetzt noch aufhalten konnte, was in diesen

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