Pesch, Helmut W.
verging …
Und wenn es zuerst auch außer dem fahler werdenden Schein kein weiteres Zeichen für den Untergang der Anderswelt gab, so hörten sie auf dem Gang bald wieder die Echos des letzten Kampfes der Alben gegeneinander. Weder die Lios-alfar noch die Schwarzalben würden siegen. Dieser Kampf hatte keine Gewinner.
Ihre Heimat würde vergehen, verlöschen und nur noch in der Erinnerung der drei Menschenkinder bestehen bleiben.
Mit ihnen würde die Anderswelt endgültig vergehen, aber Siggi dachte daran, sollte er einst Kinder haben, würde er ihnen von seinen Erlebnissen hier erzählen, würde ihnen vom heldenhaften Opfers Laurions berichten, vom Hass der Völker und vom sinnlosen Töten, aber auch von der Schönheit der Höhlen und von vielem mehr, das er gesehen und erlebt hatte. Die Geschichten dieser Nacht würden ausreichen für viele Erzählungen. Und er wusste, ohne zu fragen, dass Gunhild und Hagen ähnlich darüber dachten.
Jeder von ihnen würde einen Teil der Anderswelt retten und vor dem Untergang bewahren. Und ihm war, als hörte noch einmal die Stimme des Donnerers, dessen Hammer er trug, die »Ich danke dir, Siegfried« grollte.
Sie folgten den von Gunhild ausgewählten Wegen, und Hagen schien mit seinem Vertrauen recht zu behalten, denn nach einem kurzen Abstieg ging es beständig bergauf.
Zu dem schwindenden Licht gesellte sich nun immer häufiger ein rötlicher Feuerschein, der die Schächte und Kamine hinaufdrang.
Irgendwo in er Tiefe musste eine gewaltige Feuersbrunst toben, die langsam heraufstieg.
Und da waren die Schreie.
Gespenstische Echos hallten durch das Höhlensystem. Die Melodie der letzten Schlacht war disharmonisch, und mit der Zeit glaubte Hagen, dass Loki auch in diesem Punkt gelogen hatte. Deutlich konnte er die Kampfesrufe von den Todesschreien unterscheiden, und die Zahl der Letzteren überwog. Das Klagen und Schreien der Sterbenden übertönte die Rufe nach Kampf, Blut und Tod. Längst musste sich die Schlacht zu einem Gemetzel gewandelt haben.
Selbst wenn die Krieger beider Seiten hätten aufhören wollen, es wäre ihnen nicht gelungen. Der Geist des Weltuntergangs, der rote Wind Ragnaröks, trieb sie unerbittlich in den Kampf.
Die Kinder erfüllte tiefe Trauer ob dieser schaurigen Sinfonie des Endes einer ganzen Welt, die unter ihren Augen zu Grunde ging.
Sie durften sich nicht in den Kampf verwickeln lassen; denn ohne den Schutz der Götter würden sie gegen die Krieger beider Seiten keine Chance mehr haben.
Doch die Götter waren tot, und ihre Welt lag im Sterben.
Wie schön hätte es in den Höhlen sein können, wenn statt Hass Verständnis und der Geist der Versöhnung regiert hätten! Laurion und Mîm hätten noch leben können; so hatten sie sich mit ihren Klingen gegenseitig aufgespießt. Es war der Fluch des Krieges, dass sich aus Hass Zwietracht und aus Zwietracht neuer Hass ergab …
Die Schreie wurden lauter, waren deutlicher zu verstehen. Offensichtlich näherten sie sich dem Ort, wo nach vielen kleineren Scharmützeln nun die große Endschlacht der Licht- und Dunkelalben ausgetragen wurde – dem Schlachtfeld Ragnaröks, das keine Überlebenden kannte.
»Können wir dem Kampf nicht ausweichen?«, fragte Siggi.
»Ich weiß nicht«, antwortete Gunhild, »ich kenne nur den einen Weg. Und den nicht mal ganz; ich weiß es nur jedes Mal, wenn ich die Richtung ändern muss, aber …« Hilflos zuckte sie mit den Schultern.
»Wir müssen immer das Beste hoffen«, warf Hagen ein. »Und du hast immer noch den Ring und den Hammer. Das kann unsere Rettung sein.«
Hagen wunderte sich, wie unbeschwert er über den Ring reden konnte, nun da ihn Lokis Geist verlassen hatte. Er verspürte kein Verlangen mehr danach, ja, nicht einmal Bedauern, dass er ihn nicht mehr besaß. Inzwischen hatte Siggi sicherlich das größere Recht darauf. In Muspelheim hatte Siggi ihn, Hagen, damit vor einer großen Dummheit bewahrt.
»Ich wünschte dennoch«, meinte Siggi, »wir könnten der Schlacht aus dem Weg gehen. Ich meine, wenn’s sein muss, klar, dann habe ich immer noch den Hammer. Aber der Kampf Laurions hat mir gereicht. Ich möchte nicht noch mehr davon sehen.«
Hagen und Gunhild nickten verständnisvoll.
»Aber wir können uns unsere Pfade nicht aussuchen«, meine das Mädchen. »Die Göttin hat aber versprochen, uns zu helfen.«
Und so setzten sie ihren Weg fort. Die gespenstischen Schreie hallten immer noch durch die Gänge, und man hätte meinen können, mit
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