Pestmond (German Edition)
Clemens den Neunten geht. Ihr müsst ihn aus dem Wege räumen.«
»Ja, das hast du erwähnt«, antwortete Andrej ärgerlich. »Nur nicht, warum wir das tun sollen.«
Hasan sah ihn lange und sehr nachdenklich an. »Das ist eine … komplizierte Geschichte«, sagte er schließlich, »und eine, über die ich nicht reden kann. Aber ich versichere dir, dass es nichts mit dem zu tun hat, was immer du dir auch vorstellen magst.«
»Ich kann mir eine Menge vorstellen.«
»Und seit einigen Tagen vermutlich noch mehr, als du dir jemals zuvor hättest vorstellen können.« Hasans Lächeln war dünn, doch vielleicht zum ersten Mal, seit Andrej ihn kannte, wirkte es ehrlich.
Es war nur ein Moment, kaum mehr als ein Augenblick im ursprünglichen Sinn des Wortes, dass ihm war, als würde er einem vollkommen anderen Menschen gegenüberstehen, der selbst äußerlich kaum noch Ähnlichkeit mit dem Mann hatte, den er als Hasan as Sabah kennengelernt hatte.
Der Moment verging genauso schnell, wie er gekommen war, und ließ ihn verwirrt zurück. Es war wie das Aufblitzen einer Fata Morgana am Horizont, viel zu kurz, um wirklich etwas zu erkennen, und doch war der, der sie schaute, anschließend von dem unerschütterlichen Wissen erfüllt, etwas ungeheuer Kostbares erblickt zu haben, das von essenzieller Bedeutung war, wenn man darum wusste – und von noch ungleich größerer, wenn nicht.
»Du wirst es erfahren, wenn du deinen Auftrag erledigt hast«, sagte Hasan, und nach einer Weile fügte er hinzu: »Wenn wir dann beide noch am Leben sind.«
Es lag Andrej auf der Zunge zu antworten, wie wenig es ihm gefiel, dass er wir beide gesagt hatte, und nicht wir drei . Aber plötzlich erschien ihm diese Bemerkung … unangemessen. Respektlos. Er wusste auch, warum. Es war nicht das erste Mal, dass er einem Mann wie Hasan begegnete. Einem Mann, der Macht besaß und sie auch nutzte und den die Aura dieser Macht umgab wie ein unsichtbarer Mantel, der jeder seiner Gesten Gewicht und jedem seiner Worte eine Bedeutung verlieh, die über das unmittelbar Gesehene und Gehörte hinausgingen.
Daher richtete er nun ohne eine weitere Erwiderung den Blick nach Südosten, der Richtung, aus der sie kamen. Hinter dem Horizont tanzte ein heller Schemen über dem Meer, den man für eine Wolke hätte halten können, wäre seine Form nicht so regelmäßig gewesen. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, nur ein paar Minuten später wäre er auch einem aufmerksamen Auge entgangen.
Andrej legte den Kopf in den Nacken, blinzelte gegen das stechende Rot der untergehenden Sonne zum Mastkorb hinauf und war nicht im Geringsten überrascht, ihn leer zu finden. Ärger loderte wie eine kalte Flamme in ihm hoch.
»Was hast du?«, fragte Hasan, dem seine Reaktion nicht entgangen war.
Andrej entschied, seinem Zorn über diese ungeheuerliche Pflichtverletzung später Luft zu machen, biss die Zähne so fest zusammen, dass sie knirschten, und deutete mit einer knappen Geste nach achtern. Hasan zog sein Fernrohr unter dem Mantel hervor und setzte es an. Eine geraume Weile sah er schweigend hindurch, dann reichte er das Instrument an Andrej weiter.
»Dein Freund hatte wohl doch recht.«
Andrej brauchte länger als Hasan, bis er das helle Flackern am Horizont wiedergefunden hatte. Das Schiff war noch so weit entfernt, dass es selbst durch das starke Glas nur mehr zu erahnen war, aber er meinte, eine Caravelle zu erkennen, genau wie Abu Dun gesagt hatte, schnittig und so elegant wie ein Raubfisch, dessen Rückenflosse auf der Suche nach Beute durch das Wasser pflügt. Und ebenso tödlich.
Andrej schob das Rohr zusammen und gab es seinem Besitzer zurück. Jetzt, wo er einmal wusste, wo es war, würde er das Schiff im Auge behalten, bis die Sonne endgültig unterging.
»Was sagst du?«, fragte Hasan.
Andrej sagte gar nichts, doch er war beunruhigt. Caravellen gehörten mit zu den schnellsten Schiffen, die die Weltmeere kreuzten, doch in diesen Gewässern sah man sie nur sehr selten. Das Mittelmeer war einfach zu klein, als dass ihre größte Stärke wirklich zum Tragen gekommen wäre, eben diese Schnelligkeit und ihre Fähigkeit, diese auch über gewaltige Entfernungen hinweg und bei nahezu jedem Wetter aufrechtzuerhalten. Und sie waren groß. Beileibe nicht die größten Schiffe, die es gab, aber gegen die Pestmond trotzdem wahre Riesen, drei-, viermal so lang und mit genug Platz für die zehnfache Besatzung. Und – wie hatte Abu Dun es noch ausgedrückt? – eine
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