Pestmond (German Edition)
noch.
Schließlich erbarmte sich Hasan, indem er Abu Dun seine tägliche Ration Kat deutlich vor der Zeit verabreichte und dabei wohl etwas mehr in den zerbeulten Becher gab als mit Wein gestrecktes Kat, denn Abu Dun beruhigte sich nicht nur zusehends, sondern wurde auch müde, sodass es Andrej keine großen Überredungskünste mehr abverlangte, damit er die heißesten Stunden des Tages in seiner Kajüte und Vercellis ehemaligem Bett verschlief. Andrej vermutete, dass das betagte Möbelstück diese Begegnung nicht überstehen würde, aber das war vermutlich das kleinere Problem. Er hatte ohnehin das Gefühl, in den nächsten Tagen nicht sonderlich viel Schlaf zu bekommen.
Damit sollte er recht behalten.
Als Hasan die Reisezeit auf drei Tage veranschlagt hatte, war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen, denn seine Männer waren zweifellos gelehrig und guten Willens, aber beides allein reichte nicht aus, um aus Wüstenbewohnern, die vermutlich noch nie ihre Heimat verlassen hatten, über Nacht Seeleute zu machen. Andrej hätte sich durchaus zugetraut, zusammen mit Abu Dun (und ausreichend Zeit) das Schiff allein nach Italien zu segeln, aber Abu Dun stand im Moment nicht zur Verfügung, Hasan bestand darauf, spätestens beim nächsten Vollmond in Rom zu sein, und was seine Männer anging … die waren zwar bemüht, doch allein an diesem ersten Tag konnte Andrej nur mit Müh und Not zwei schwere Unfälle verhindern, die typisch für Männer waren, die die Gefahren an Bord eines Schiffes nicht kannten. Ein dritter Assassine stürzte von der Rahe (auf der er nichts zu suchen gehabt hatte) und kam nur deshalb mit dem Schrecken davon, weil er ins Wasser fiel, statt sich auf dem Deck das Genick zu brechen.
Der Zwischenfall sorgte für allgemeine Erheiterung, doch obwohl es sich Andrej nicht nehmen ließ, in das schadenfrohe Gelächter einzustimmen, hatte er ein ungutes Gefühl. Und das sollte sich schon sehr bald bestätigen: Als die Sonne unterging, tauchte das fremde Schiff wieder am Horizont auf.
Auch jetzt befand sich Andrej auf dem Achterkastell. Am Anfang war es ihm noch gelungen, sich mit Arbeit abzulenken und sich einzureden, dass die Ereignisse seit Antritt ihrer Fahrt schuld daran waren, dass ihm die Pestmond so großes Unbehagen einflößte. Dabei wusste er nur zu gut: Es war nicht nur sein düsterer Name, es war das Schiff selbst.
Andrej war der Letzte, der etwas für abergläubisches Gerede übrig hatte, und noch vor einem Tag hätte er sogar Abu Dun ausgelacht, hätte der ausgesprochen, was er jetzt dachte: dass dieses Schiff verflucht war.
Etwas war hier, das nicht hierher gehörte, nicht auf dieses Schiff, nicht in dieses Land und vielleicht nicht einmal auf diese Welt. Etwas, das ihn rief, ein düsteres Flüstern, verlockend und schrecklich zugleich.
»Andrej.«
Hasan hatte sich ihm so behutsam genähert, dass Andrej seine Schritte auf der knarrenden Treppe nicht gehört hatte.
»Hasan«, sagte er kühl und drehte sich zu ihm um.
»Du hast wirklich gute Arbeit geleistet, habe ich dir das schon gesagt?« Hasan legte die letzten zwei, drei Schritte nun, wie Andrej missbilligend bemerkte, humpelnd und laut mit dem Stock aufstampfend zurück und stützte sich schwer neben ihm auf die Reling.
»Mehrmals«, antwortete Andrej. »Wenn du mir schmeicheln willst … für so etwas bin ich unempfänglich.«
»Niemand ist für Schmeicheleien vollkommen unempfänglich, Andrej«, sagte Hasan, »vor allem dann nicht, wenn sie berechtigt sind. Und es sollte auch keine bloße Schmeichelei sein. Wenn ein Mann gute Arbeit leistet, dann muss man es ihm auch sagen.«
Andrej antwortete nur mit einem angedeuteten Nicken. »Was willst du?«, fragte er, eine Spur schärfer, als er eigentlich beabsichtigt hatte.
»Ich will dich bitten, dich ein wenig auszuruhen. Der beste Mann nutzt einem nichts, wenn er im entscheidenden Moment versagt, weil er übermüdet ist. Die Sonne geht unter, und sobald es dunkel ist, werde ich auch meinen Männern befehlen, sich zur Nachtruhe zu begeben.«
Und das Schiff treiben lassen? Auch eine Galeota segelte sich nicht von selbst. »Und was wäre dieser entscheidende Moment?«, fragte er.
»Das war nur so dahingesagt«, behauptete Hasan, was von allen Lügen die bisher am wenigsten überzeugende war.
»Warum fahren wir wirklich nach Rom?«, fragte Andrej geradeheraus.
Auch den Überraschten spielte Hasan wenig überzeugend. »Ich dachte, ich hätte dir gesagt, dass es um
Weitere Kostenlose Bücher