Pestmond (German Edition)
Menge Kanonen. Andrej hasste Kanonen. Beinahe noch mehr als Schiffe.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Hasan, nachdem er wohl endlich einsah, dass er keine Antwort bekommen würde. »Nach der Beschreibung deines Freundes ist es dasselbe Schiff, das heute Morgen vor der Küste gelegen hat.«
Andrej konnte sich nicht erinnern, Abu Dun eine genauere Beschreibung abgeben gehört zu haben. »Hast du nicht heute Morgen selbst gesagt, dass wir auf dem Meer sind und es auf dem Meer schon einmal vorkommen kann, dass man einem anderen Schiff begegnet?«, sagte er herausfordernd.
Hasan begriff wohl seine Absicht, denn ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Züge. Aber seine Augen blieben ernst, und auch sein Ton war ernst, als er fortfuhr: »Wenn es dasselbe Schiff ist, ist es gewiss kein Zufall. Vielleicht sollten wir warten, bis es dunkel ist, und dann den Kurs Richtung Ägäis ändern. Wenn ich mich nicht täusche, können wir doch durch das Karpathische Meer nördlich an Kreta vorbeisegeln …«
»Und darauf hoffen, dass sie einfach an uns vorbeifahren«, sagte Andrej und nickte. »Schick die Männer hoch – und lass alle Lampen löschen! Sonst werden wir wohl kaum unbemerkt bleiben.«
»Und wenn wir das Gegenteil tun?«
»Alle Lampen anzünden, damit sie uns möglichst rasch finden?«
Hasan blieb ernst. »Wir haben ein Beiboot. Wir könnten es treiben lassen und sie so auf eine falsche Spur locken.«
»Mit einer Laterne an Bord«, sagte Andrej. »Was für eine wirklich hervorragende Idee. Wie gut, dass in den zurückliegenden tausend Jahren noch niemand darauf gekommen ist. So fällt auch gewiss jeder darauf herein.«
Hasan wandte sich wortlos um und ging. Beinahe wäre Andrej ihm nachgeeilt, um sich für seine harschen Worte zu entschuldigen, tat es dann aber doch nicht. Zornig auf sich selbst, dass er sich so wenig in der Gewalt hatte, sah er noch einmal nach ihrem möglichen Verfolger, konnte ihn aber nun gar nicht mehr ausmachen und begab sich schließlich unter Deck, um die restlichen Männer zu holen, die sich bereits auf die bevorstehende Nachtruhe vorbereiteten.
Hier unten war es schon dunkel, denn es brannte nur eine einzelne kleine Lampe, die mehr Ruß und übel riechenden Qualm verbreitete als Licht, sodass er im ersten Moment nur Schatten erkannte. Alis und Hasans Stimmen drangen gedämpft durch den Vorhang, der die improvisierte Kabine im Bug abtrennte, und er meinte Ayla antworten zu hören, ohne ihre Worte zu verstehen oder ihren Ton deuten zu können.
Er wollte gerade hingehen, da entdeckte er jemanden, dessen Anblick seinen Ärger neu und noch heißer aufflammen ließ. »Du!« Andrej deutete auf einen Mann, der gerade mit wenig Erfolg versuchte, ein halbwegs trockenes Plätzchen zum Schlafen zu finden. Der Mann fuhr so heftig zusammen, als hätte er in ein Nest voller giftiger Schlangen gegriffen, und sah Andrej schuldbewusst an.
»Du weißt also, was du getan hast«, sagte Andrej scharf. Auch die übrigen Assassinen hielten mit dem inne, was sie gerade taten und sahen in seine Richtung. Es wurde sehr still. Selbst die Gespräche hinter dem Vorhang verstummten.
»Herr?«, fragte der Mann.
»Du bist es doch, den ich in den Mast geschickt habe, um Ausschau zu halten, oder?«, fragte Andrej. »Das hier sieht nicht wie der Ausguck aus. Was also tust du hier?«
»Ich habe …«
»Ich frage dich noch einmal, was du hier tust«, fiel ihm Andrej ins Wort, selbst überrascht über die Schärfe in seiner Stimme und den heftigen Zorn, der in ihm aufloderte.
»Asis …« Der Mann fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und setzte nach einem heiseren Räuspern neu an. »Asis hat sich angeboten, den Platz mit mir zu tauschen. Ich fühle mich nicht wohl in großen Höhen.«
Andrej hörte das Rascheln von Stoff, drehte sich aber nicht um, sondern funkelte den Mann weiter zornig an. Er spürte eine Lust, ihn einfach zu packen und so lange zu schütteln, bis er …
Ja, was eigentlich?
Er fand keine Antwort auf diese Frage, und eben diese Erkenntnis war es, die ihn davon abhielt, den Assassinen tatsächlich zu schlagen. Doch er wollte es. Er wollte es in diesem Moment mehr als alles andere.
»Asis?«, fragte er stattdessen, mühsam beherrscht. »Und wo ist er jetzt, dieser Asis?«
»Asis ist der Mann, der vorhin ins Wasser gestürzt ist«, sagte Alis Stimme hinter ihm. »Ich habe ihn angewiesen, sich bis morgen früh auszuruhen, damit er wieder ganz zu Kräften kommt. Wir alle
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