Pestmond (German Edition)
gefurchter Stirn nach. Da war etwas, etwas Wichtiges, das …
Aber das hatte Zeit bis später. Jetzt musste er sich um Abu Dun kümmern. Er war längst nicht so optimistisch, wie er Kasim gegenüber getan hatte. Da war noch etwas, tief, sehr tief in Abu Dun verborgen, aber es war entsetzlich schwach. Ein Gefühl der Hilflosigkeit ergriff von ihm Besitz, so stark, dass es körperlich wehtat.
Die einzige wirklich unangenehme Begleiterscheinung, die mit Abu Duns Wiedererwachen verbunden war, war das Warten darauf, doch dieses Mal zog es sich so lange hin, dass sich Andrej bis zum allererletzten Moment nicht sicher war, dass es tatsächlich geschehen würde. Etwas hatte sich geändert. Abu Duns Herz hätte nicht aufhören dürfen zu schlagen, nur weil Kasim es vielleicht versehentlich mit der Messerspitze berührt hatte.
Irgendwann jedoch – endlich – tat Abu Duns Herz einen einzelnen, mühsamen Schlag, und der Nubier richtete sich mit einem rasselnden Keuchen und so abrupt wieder auf, dass Andrej ein Stück zurückprallte.
»Ist alles in Ordnung, Pirat?«, fragte er.
»Ja.« Abu Dun presste die Hand gegen die Brust und funkelte ihn zornig an. »Verdammt, natürlich ist nicht alles in Ordnung! Ich schätze es nicht, zu sterben. Und ich schätze es schon gar nicht, vergiftet zu werden.«
»Vergiftet? Was genau meinst du damit?«
»Komm einfach mit und sieh zu, wie ich Kasim dieselbe Frage stelle«, grollte Abu Dun, versuchte sich hochzustemmen und sank mit einem gemurmelten Fluch in seiner Muttersprache wieder zurück. Zwischen den Fingern, die er gegen die Brust presste, quoll noch immer hellrotes Blut hervor, und auch auf seinen Lippen perlte es in derselben Farbe.
»Komm erst einmal wieder zu Kräften«, riet ihm Andrej. »Auf einen Augenblick mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an.«
Abu Dun knirschte zur Antwort mit den Zähnen, versuchte sich trotzig noch einmal aufzurappeln und sank ein zweites Mal schwer zurück. Die Wunde unter seinen Rippen blutete immer noch.
»Was hast du damit gemeint, dass Kasim dich vergiftet hat?«, fragte Andrej.
»Diese Assassinen sind doch als Giftmischer bekannt!«, grollte der Nubier. »Irgendetwas war an diesem Messer, da bin ich ganz sicher. So ein Kratzer wirft mich doch nicht um!«
»Vielleicht war es ja auch die Kugel«, sagte Andrej, obwohl er selber seine Zweifel hatte. Da war tatsächlich etwas gewesen, das sein Misstrauen geweckt hatte, auch wenn ihm der Gedanke zu schnell entglitt, um wirklich zu sagen, was.
Abu Dun streckte die Hand aus und grunzte ärgerlich, als Andrej nicht sofort danach griff. »Jetzt schenke ich dir schon einmal den Triumph, dir wenigstens selbst einreden zu können, dass ich auf deine Hilfe angewiesen bin, also verdirb dir nicht selbst den Spaß. So eine Gelegenheit bekommst du vielleicht erst in hundert Jahren wieder.«
Andrej sah ihn ernst an und ignorierte seine ausgestreckte Hand. »Versprichst du mir, nichts Dummes zu tun?«
»Wann hätte ich das jemals getan?«, fragte Abu Dun. Als Andrej ihn nur wortlos anstarrte, zog Abu Dun einen Schmollmund. »Also gut, ich verspreche dir, dass ich Kasim am Leben lasse. Und sogar unversehrt. Mehr oder weniger.«
Andrej zögerte zwar schon aus Prinzip noch einen weiteren Moment, griff dann aber nach Abu Duns Hand und zog ihn mit einiger Anstrengung in die Höhe. Zugleich nutzte er die Gelegenheit, um in den Nubier hineinzulauschen. Abu Dun brodelte tatsächlich vor Zorn. Er tat wohl gut daran, ihn im Auge zu behalten, sobald er Kasim gegenüberstand.
Auf dem Weg nach oben musste er Abu Dun noch stützen, doch die Kräfte des Nubiers kehrten nun rasch zurück. Kurz bevor sie auf das Deck hinaustraten, nahm Abu Dun den Arm von seiner Schulter und richtete sich demonstrativ auf, doch Andrej ließ sich nicht täuschen. Abu Dun erholte sich mit der für ihn typischen Schnelligkeit, doch da war zugleich noch immer eine Schwäche in ihm, die nur ganz allmählich verschwand. Vielleicht hatte er ja recht, und er war tatsächlich vergiftet worden. Aber warum?
»Du denkst an das, was du mir verspro…«, begann Andrej und brach dann mitten im Wort ab, als er des sonderbaren Anblickes gewahr wurde, der sich ihnen bot. Er hatte erwartet, die Mannschaft auf Deck und in der Takelage vorzufinden, um das Schiff auf Kurs zu halten, doch sowohl Hasan als auch alle seine Assassinen hatten sich an Backbord versammelt, den Blick auf etwas gerichtet, das Andrej nicht erkennen konnte.
Abu Dun
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