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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Leib, sein Herz raste, und Andrej konnte spüren, wie sich seine Muskeln mehr und mehr anspannten. Einen Schnitt wie den, den Kasim ihm jetzt zufügte, hätte Abu Dun unter normalen Umständen nicht einmal zur Kenntnis genommen, und wenn doch, den Schmerz einfach weggeblinzelt, aber Andrej wollte kein Risiko eingehen. Abu Dun war noch lange nicht wieder im Vollbesitz seiner Kräfte, und was für ihn ein Zucken sein mochte, das konnte sich für Kasim durchaus als tödlicher Hieb erweisen.
    »Ich … sehe sie«, stammelte Kasim. »Noch einen Augenblick.« Seine Stimme zitterte, und sein ganzes Gesicht war jetzt mit Schweiß bedeckt, sodass er sich allmählich in dünnen grauen Dunst zu hüllen begann, als wäre er ein Dämon, der aus der Hölle geschickt worden war, um den Nubier zu quälen. Andrej hoffte inständig, dass es nur seine Stimme war, die zitterte.
    »Hast du das nicht vor … vor einem Augenblick nicht auch schon … behauptet?«, fragte Abu Dun gepresst.
    »Halt still!«, sagte Kasim. »Ich muss ganz dicht an dein … da ist sie!« Mit einem Triumphschrei zog er die Kugel aus Abu Duns Brust und hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe.
    Abu Dun stieß mit einem Zischen die Luft zwischen den Zähnen aus, erst dann wagte Andrej es, seinen Griff vorsichtig zu lockern. Vielleicht einen Augenblick zu früh, denn Abu Dun sank plötzlich stöhnend nach vorne, und Andrej konnte hören, wie sein Herz aufhörte zu schlagen.
    »Aber was …?« Kasim ließ sowohl die blutige Kugel als auch das Messer fallen, fuhr in der Hocke zurück und verlor prompt das Gleichgewicht, sodass er der Länge nach auf den Rücken fiel.
    Ohne ihn zu beachten, ließ Andrej Abu Dun behutsam zu Boden gleiten und drehte ihn auf den Rücken. Seine Augen standen weit offen und waren leer, und da sein Herz aufgehört hatte zu schlagen, blutete auch der Schnitt in seiner Brust nicht mehr, machte aber auch keinerlei Anstalten, sich zu schließen.
    »Oh mein Gott, habe … habe ich ihn umgebracht?«, stammelte Kasim. »Das wollte ich nicht, das … das musst du mir glauben! Aber ich habe dir gleich gesagt, dass ich es nicht kann und dass ich Mechaniker bin und kein Arzt! Ich wollte ihn nicht …«
    Andrej brachte ihn mit einem eisigen Blick zum Verstummen, beugte sich wieder über Abu Dun und legte die Hand auf seine Stirn. Zugleich lauschte er mit all seinen Sinnen in den Nubier hinein. Angst wollte sich in ihm regen, aber das ließ er nicht zu, sondern konzentrierte sich nur noch mehr. Im ersten Moment war da nichts außer einer gewaltigen schwarzen Leere, aber darunter, unendlich schwach und weiter entfernt als der entfernteste Stern …
    »Ist er … ist er tot?«, stammelte Kasim.
    »Er ist tot«, antwortete Andrej. »Aber nicht für lange, keine Sorge.« Und es war wahrscheinlich auch nicht seine Schuld gewesen. Aber das sprach er nicht laut aus. Abu Dun hätte der Gedanke gefallen, Kasim ein paar wirklich unangenehme Augenblicke zu bereiten.
    »Nicht für lange?«, wiederholte Kasim. »Was soll das …?« Er brach ab, nickte ein paarmal rasch und fuhr sich mit dem Handrücken durch das Gesicht, bevor er heftiger noch einmal nickte.
    »Oh ja, ich verstehe. Da ist ja … also ich meine, ihr seid ja …«
    »Ja, genau«, unterbrach ihn Andrej. »Und du solltest vielleicht nach oben gehen und dich irgendwie nützlich machen. Ich glaube, dass Hasan im Moment jede helfende Hand brauchen kann.«
    Kasim rührte sich nicht, sondern sah weiter auf Abu Duns erloschene Augen hinab. An seinem Hals klopfte eine Ader.
    »Und ich möchte dir auch den Anblick dessen ersparen, was gleich geschieht«, fuhr Andrej fort. »Er wird zurückkommen, aber es gibt da ein paar … unappetitliche Begleiterscheinungen, wenn du verstehst.«
    »Ja«, sagte Kasim. »Aber vielleicht hast du recht, und jemand muss sich um Ayla kümmern.« Er fuhr sich ängstlich mit der Zungenspitze über die Lippen, schien noch etwas sagen zu wollen, stand aber stattdessen auf. Dann bückte er sich noch einmal und hob den Dolch auf, mit spitzen Fingern und einem Gesichtsausdruck, als wäre er felsenfest davon überzeugt, augenblicklich zur Hölle zu fahren, wenn er auch nur flüchtig mit dem Blut in Berührung kam, das die Klinge besudelte. Erst nachdem er den Dolch sorgsam an seiner Hose abgewischt und, ihn noch immer mit zwei Fingern haltend, in die gefütterte Scheide an seinem Gürtel geschoben hatte, stand er endgültig auf und ging. Andrej sah ihm mit nachdenklich

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