Pestmond (German Edition)
misstrauisch, und er liebt es, andere einzuschüchtern und ihnen Angst zu machen, aber er ist auch sehr gerecht. Und ich glaube, eigentlich mag er Abu Dun sogar ein bisschen. Du musst keine Angst um deinen Freund haben.«
Eigentlich war es eher Ali, um den Andrej sich Sorgen machte, aber er sagte nichts. Als er aufstehen wollte, schüttelte Ayla den Kopf. Er sank wieder zurück. »Ja?«
»Ich wollte mich … noch bei dir bedanken«, sagte Ayla stockend. Andrej spürte, wie schwer ihr die Worte über die Lippen kamen. »Ich hätte es gleich tun sollen, ich weiß, aber bisher war die Zeit nicht dafür, und …«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, unterbrach sie Andrej, was durchaus der Wahrheit entsprach. Ayla rutschte eine Winzigkeit näher, kaum sichtbar, aber doch weit genug, um jene unsichtbare Grenze zu überschreiten, die er wie die meisten Menschen um sich errichtet hatte, und jenseits derer – von ganz wenigen Ausnahmen und Situationen abgesehen – Nähe ihm unangenehm wurde.
»Du hast mir das Leben gerettet«, rief ihm Ayla in Erinnerung. »Auf dem Markt. Der Händler hatte diese Krankheit, und wenn er mich angesteckt hätte …«
Andrej setzte sich auf und nutzte die Gelegenheit auch gleich, um Ayla unauffällig ein Stück zurückzuschieben. Jetzt hätte sie verletzt reagieren können, doch stattdessen erschien die Andeutung eines Lächelns in ihren Augen. Mit beiden Händen ergriff sie seine Rechte und hielt sie fest. Andrej erschauerte leicht, als er erneut spürte, wie kalt ihre Haut war. Es kostete ihn einige Überwindung, die Hand nicht erschrocken zurückzuziehen.
Als hätte sie seinen Widerwillen gespürt, schlossen sich Aylas schmale Finger nur noch fester um seine Hand, und dann tat sie etwas, von dem Andrej nicht einmal genau sagen konnte, ob es ihn überraschte oder eher erschreckte: Sie zog seine Hand mit einem Ruck an sich heran und drückte sie an ihre Brust. Andrej spürte, wie er errötete. Unter dem schwarzen Stoff ihres Gewandes verbarg sich der Körper einer jungen Frau, längst nicht mehr der eines Kindes oder auch nur eines Mädchens.
Fast erschrocken zog Andrej die Hand zurück. »Was soll das?«
»Ich bin kein Kind mehr, Andrej«, sagte Ayla. »Schon lange nicht mehr. Ich bin eine Frau und du ein Mann, und spätestens morgen sind wir wieder an Land, und …«
Andrej brachte sie zum Verstummen, indem er ihr nun beide Hände auf die Schultern legte und sie mit sanfter Gewalt von sich wegschob. »Und dein Bruder würde am liebsten schon jeden umbringen, der dich auch nur ansieht.«
»Mein Bruder?«
»Ali«, antwortete Andrej. »Er hat es mir verraten.« Wenn er denn die Wahrheit gesagt hatte. Aylas Reaktion verwirrte ihn. Zumindest im ersten Moment sah sie ihn an, als verstünde sie nicht, wovon er sprach. Dann nickte sie dafür umso heftiger. »Ali, natürlich. Aber Ali ist mein Bruder, nicht mein Vater oder mein Mann. Ich entscheide immer noch selbst, was ich will oder wen.«
Das war direkt, und es störte ihn mehr, als er erklären konnte. »Ayla, das ist jetzt wirklich nicht …«, begann er, da polterten schwere und schnelle Schritte auf der Treppe, und Abu Duns Stimme sagte: »Da ist etwas, das du dir ansehen solltest, Hexenmeister.«
Andrej zog die Hände so schnell zurück, dass es schuldbewusst aussehen musste, und stand rasch auf. Er begegnete Abu Duns Blick, der Bände sprach.
»Das ist jetzt nicht –«, sagte der Nubier verblüfft.
»Nein«, unterbrach ihn Andrej. »Ist es nicht.«
Als er Abu Duns verwirrtem Blick folgte, stellte er fest, dass er möglicherweise doch etwas zu ungestüm aufgesprungen war, denn Ayla hatte das Gleichgewicht verloren und war auf den Rücken gefallen. Sie schien nicht verletzt zu sein, und in ihren Augen las er einen eher amüsierten Ausdruck.
Nun wurde Abu Duns Feixen anzüglich, sodass Andrej ihn anfuhr: »Wolltest du mir nicht etwas zeigen?«
»Einen eifersüchtigen Bruder?«, schlug Abu Dun vor.
»Pirat!«
»Schon gut, schon gut!« Breit grienend hob Abu Dun gespielt ängstlich die Hände vor das Gesicht und wich einen Schritt vor ihm zurück. Aber dann erlosch das Grinsen ganz plötzlich. »Komm! Und bring dein Schwert mit!«
Andrej registrierte erst jetzt, dass er den Schwertgurt mit dem kostbaren Saif nicht mehr trug. Er lag ein gutes Stück neben der Stelle auf dem Boden, an der er geschlafen hatte, und die Klinge war einen oder zwei Fingerbreit aus der Scheide gezogen, als hätte sich jemand daran zu schaffen
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