Pestmond (German Edition)
Er sagt euch nicht die Wahrheit.«
»Inwiefern?«, fragte Andrej. Und wer tat das schon immer?
»Er verfolgt eigene Pläne«, sagte Ayla, während sie mit der linken Hand das Tuch zurückhielt, mit dem der vordere Bereich des Schiffes abgetrennt war, um für Hasan und sie wenigstens die Illusion von Privatsphäre zu schaffen. Andrej erhaschte nicht nur einen kurzen Blick auf viele Kissen, aufwendig bestickte Teppiche und farbige Seidentücher, sondern ertappte sich auch bei dem hässlichen Gedanken, sich zu fragen, was hinter diesem Tuch wirklich vorging, wenn alle anderen schliefen.
Er schüttelte den Kopf, als wollte er den Gedanken verscheuchen. Das Mädchen hatte etwas an sich, das ihn berührte und verwirrte – als wäre sie keine normale Sterbliche. »Dein Bruder scheint ihm zu vertrauen«, sagte er rau.
»Mein Bruder?« Aylas Augen blitzten spöttisch auf. Ihre Stimme jedoch klang verächtlich. »Ali, richtig. Ali ist ein Narr. Er liebt mich und ist nicht nur tapfer, sondern auch der klügste Mann, den ich jemals kennengelernt habe, aber er ist trotzdem ein Narr. Wenn man ihm zuhört, dann könnte man meinen, dass Hasan ein Platz zu Gottes Rechten schon jetzt ganz sicher ist. Ich weiß nicht, für wen er sich entscheiden würde, wenn er wählen müsste: für seine Schwester oder diesen alten Mann.«
»Wenn du mir etwas sagen willst, dann tu es«, sagte er in rüderem Ton, als er beabsichtigt hatte, und mit belegter Stimme. Er musste sich räuspern, um weiterzusprechen. »Ich mag keine Andeutungen.«
»Das, was ich dir gestern sagte, habe ich ernst gemeint, Andrej«, fuhr Ayla fort, mit einer Stimme, die sich wie ein Messer in seine Brust grub. »Es … gibt da etwas über mich, das du nicht weißt und das ich dir jetzt auch noch nicht sagen kann, aber …«
»Ich glaube, ich weiß, was du meinst«, unterbrach Andrej sie. Ayla war näher gekommen. Wieder fiel Andrej auf, wie schlecht sie roch. Aber das galt vermutlich auch für ihn und alle anderen an Bord; es gab nicht viel, das schlimmer stank als die Mannschaft eines Schiffes, das zu lange auf See gewesen war.
»Aber es muss dir nicht peinlich sein«, fuhr er fort, während es ihm immer schwerer fiel, nicht zu deutlich vor ihr zurückzuweichen. Das Erste, was sie alle brauchten, wenn sie wieder an Land waren, war ein Bad, sonst würde ihr Opfer sie schon von Weitem riechen. »Es ist nicht deine Schuld.«
Ayla sah ihn verwirrt an und schien etwas erwidern zu wollen, hob aber dann nur die Schultern. In ihrem Gesicht zu lesen war unmöglich, aber ihr Blick flackerte einen Moment unstet, und der schwarze Stoff vor ihrem Mund bewegte sich schneller. Vielleicht war es ja auch ihre Furcht, die er roch.
Es war kein Trost, aber er fühlte sich trotzdem genötigt hinzuzufügen: »Nicht alle Männer sind so, glaub mir. Leider viel zu viele, aber nicht alle.«
»Du nicht«, stellte Ayla fest.
Aus irgendeinem Grund war ihm diese Bemerkung unangenehm, und Andrej wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er machte zwei große Schritte zurück, was Ayla zu verletzen schien, doch sie sagte nichts mehr, sondern wandte sich um, ging in ihren privaten Bereich und schloss den Vorhang hinter sich.
Kapitel 25
W as ihn geweckt hatte, wurde ihm erst im Nachhinein wirklich klar: Das Schiff bewegte sich nicht mehr, und auch die allgemeine Geräuschkulisse war eine andere, ohne dass er die Veränderung konkret benennen konnte.
Wenn man es genau nahm, konnte er im ersten Moment gar nichts sagen, gerade einmal, dass er sich an seinen Namen erinnerte, und auch das erst nach einer bewussten Anstrengung. Seine Gedanken bewegten sich träge und wollten ihm nicht so recht gehorchen. Zum ersten Mal seit Monaten hatte er lange und wirklich tief geschlafen, sodass er beinahe Mühe hatte, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Falls dieser Albtraum, in dem er sich seit Wochen gefangen wähnte, seit Murida sich in einen tobenden Dämon verwandelt hatte, er mit dem toten Abu Dun in den Armen auf den Alten vom Berge gestoßen war und wenig später ihre verrückte Seereise nach Rom mit dem Ziel, den Papst umzubringen, begonnen hatte, denn tatsächlich die Wirklichkeit war.
Andrej lächelte über seine eigenen naiven Gedanken – er sollte das Schicksal doch mittlerweile wirklich gut genug kennen, um zu wissen, dass es ihm nicht wirklich wohlgesonnen war –, setzte sich langsam auf und versuchte halbherzig, ein Gähnen zu unterdrücken, bevor er in die Runde blinzelte und
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