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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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abgesehen hatten? Und wie viele haben wir mit eigenen Händen getötet? Zehnmal so viele? Hundertmal?«
    »Du weißt, dass das nicht der Punkt ist«, sagte Abu Dun.
    »Es ist das Einzige, was zählt«, sagte Andrej bestimmt. Statt einzulenken, fuhr er kühl fort: »Sie waren unsere Feinde. Wir haben gekämpft. Sie sind tot. Wir leben. So einfach ist das.«
    »Nein, das ist es nicht«, erwiderte Abu Dun. »Dieser Mann, den Hasan auf das Schiff geschickt hat, war nicht krank. Niemand hat sich an diesem Abend am Strand angesteckt, Hexenmeister, muss ich dir das tatsächlich erklären? Ich habe noch gestern mit dem Mann gesprochen, und da kam er mir noch höchst lebendig vor. Das ist keine Krankheit. Hasan hat irgendetwas damit zu schaffen. Und selbst wenn es anders wäre … so etwas … ist nicht richtig. Es ist noch nicht lange her, da hätte ich dir das nicht erklären müssen.«
    »Was? Dass wir keine Chance gehabt hätten, dieses Schiff zu entern? Wir wären beide dabei ums Leben gekommen, das ist der einzige Unterschied.«
    »Und dass Hasan zu dem Schluss gekommen ist, lieber das Leben eines seiner Männer zu opfern als deines und meines?« Abu Dun schüttelte heftig den Kopf. »Stell dir vor, Andrej, das habe sogar ich schon begriffen. Aber seit wann ist es unsere Art, so zu rechnen?«
    Ihre Leben gegen die anderer aufzuwiegen?
    Nichts anderes hatte er getan, als er Hasans Mordauftrag angenommen hatte. Ein anderer Mensch würde sterben, damit sein Freund leben konnte. Und nichts anderes hatte Hasan getan, indem er einen seiner eigenen Männer ausgewählt und auf diese Todesmission geschickt hatte, statt Abu Dun oder ihn.
    Abu Dun schien sein Schweigen zu missdeuten, denn er fuhr in grimmigem Ton fort: »Und seit wann erringen wir so unsere Siege, Andrej? Ich bin ein Krieger. Ich töte, wenn ich es muss, um mein eigenes Leben zu verteidigen oder ein höheres Ziel, das es wert ist, mit Blut dafür zu bezahlen.«
    »Wie nobel«, sagte Andrej. »Ich kann mich an mehr als einen Mann erinnern, den du erschlagen hast, nur weil er dich beleidigt oder an deiner Ehre gezweifelt hat.«
    »Es liegt keine Ehre darin, sich mit den Kreaturen der Hölle zu verbünden, um Menschen aus einem Grund zu töten, den wir nicht einmal kennen.«
    »Ich kenne ihn«, sagte Andrej. »Er steht vor mir.«
    Abu Dun schnaubte abfällig. »Oh, ich verstehe. Du tust das also alles nur, um mich zu retten, nicht wahr? Wie überaus bequem. Vor allem, weil dann letztendlich das alles hier eigentlich meine Schuld ist. Hast du dir das ungefähr so gedacht?«
    »Unsinn!«, fuhr Andrej auf. »Aber du bist –« Er brach ab. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort, um einen ruhigeren Ton bemüht. »Wir sind beide nervös, Abu Dun. Wir sollten keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Ich traue Hasan so wenig wie du, aber ich bin nicht sicher, dass er uns wirklich hintergeht. Und selbst wenn es so ist …«
    »Interessiert es dich nicht?«, fiel ihm Abu Dun ins Wort.
    »Ganz recht«, sagte Andrej einfach.
    Abu Dun schwieg. Dann sagte er leise: »Allmählich beginne ich mich zu fragen, wer von uns beiden zu lange auf der anderen Seite war.« Er seufzte, sehr tief. »Und ob es sich gelohnt hat zurückzukommen.«
    Diese Worte verletzten Andrej. Doch sie machten ihn auch zornig – so zornig, dass er um ein Haar etwas wirklich Unbedachtes getan hätte. Abu Dun hatte es schon immer verstanden, ihn mit wenigen gezielten Bemerkungen zur Weißglut zu treiben, und ihm war es stets ein Leichtes gewesen, diese gutmütigen Anfeindungen von sich abprallen zu lassen oder allenfalls mit einer ebenso wenig ernst gemeinten Attacke darauf zu reagieren.
    Jetzt … fiel es ihm schwer, den Nubier nicht zu packen und so lange zu schütteln, bis ihm klar wurde, was er da gerade gesagt hatte und wie undankbar es war.
    In all den Jahrhunderten, die sie nun zusammen waren, hatte er dem Nubier unzählige Male das Leben gerettet, ohne irgendeine Gegenleistung oder auch nur ein Wort des Dankes erwartet zu haben. Das war in Ordnung, denn ihre Freundschaft war von einer Art, die Worte überflüssig machte und kein gegenseitiges Aufrechnen kannte. Aber ihm nun vorzuwerfen, dass er ihm sein Leben verdankte, das ging zu weit.
    »Was genau willst du damit sagen?«, fragte er, nicht einmal besonders laut, aber in seiner Stimme oder auch seinem Blick musste wohl etwas gewesen sein, das den Nubier alarmierte.
    »Wenn ich das wüsste, hätte ich es ausgesprochen, Hexenmeister«, antwortete er ernst,

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