Pestmond (German Edition)
abwarten.« Er lachte ganz leise. »Oder hast du etwas Wichtiges vor, das keinen Aufschub duldet?«
Andrej war nicht nach Lachen zumute. »Ich hätte gar nicht herkommen sollen«, sagte er. »Sobald das Schlimmste vorüber ist, verlasse ich euch.«
»Schon?«, begann Ayla. »Warum bleibst du nicht noch eine Weile? Wenigstens bis …«
Sie brach mitten im Wort ab und lauschte, und auch Hamed sah in Richtung der Tür, durch deren Ritzen man wilde Schatten jagen sah. Auch Andrej lauschte, konnte aber nichts Außergewöhnliches hören. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
Ayla setzte zu einer Antwort an, und Hamed berührte sie wie zufällig am Arm, und sie beließ es bei einem knappen Kopfschütteln. Doch ihr Blick war beunruhigt. Statt weiter zu insistieren, stand Andrej auf und ging zur Tür. Hinter ihm sagte Hamed erschrocken:
»Du willst doch nicht etwa hinausgehen?«
Andrej antwortete nicht, sondern löste die Bastmatte aus ihrer Halterung, woraufhin staubfeiner Sand durch die Ritzen zwischen den Türbrettern schoss und ihm erneut den Atem nahm. Doch nun meinte auch er etwas zu hören, zu spüren – unmöglich zu sagen, was es war, aber es … gehörte nicht hierher. Seine Hand kroch zum Gürtel und suchte nach einer Waffe, die nicht da war, sondern gut verstaut am Grunde von Hameds Kiste lag.
»Geh nicht hinaus!«, sagte Ayla mit Angst in der Stimme.
Doch Andrej streckte umso entschlossener die Hand nach dem Riegel aus. Etwas scharrte. Da war ein Geräusch wie Schritte, die um das Haus jagten, nur viel zu schnell und viel zu schwer.
»Wenn du dich selbst umbringen willst, dann tu es wenigstens so, dass niemand sonst dabei zu Schaden kommt!«, sagte Hamed. »Willst du auch uns den Tod bringen, du Narr?«
Andrej zog die Hand zurück und drehte sich zu ihm herum. »Dann sag mir, was dort draußen ist!«
»Dein Tod, du Dummkopf!«, antwortete Hamed verächtlich. »Und unserer, wenn du diese Tür aufmachst! Warum nimmst du nicht gleich dein Schwert und schneidest uns die Kehlen durch? Das geht auf jeden Fall schneller!«
Andrej schluckte die ärgerliche Entgegnung hinunter, die ihm auf der Zunge lag, denn da war plötzlich eine Schärfe in Hameds Stimme, die so gar nicht zu dem Hamed passen wollte, den er bisher kannte. Und das lag nicht daran, dass er Angst hatte.
»Was ist dort draußen?«, wiederholte er, dieses Mal ein wenig drohender. Ganz wie er es erwartet hatte, bekam er keine Antwort, sodass er abermals die Hand nach dem Riegel ausstreckte, dann aber noch einmal kehrtmachte, um sein Schwert zu holen. Hamed versuchte zwar nicht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, aber Andrej konnte seine bohrenden Blicke spüren, als er sich erneut der Tür zuwandte.
Er war auf das Schlimmste gefasst gewesen, und Andrej war wirklich stark, aber dennoch wurde ihm die Tür einfach aus der Hand gerissen, kaum dass er den Balken heruntergenommen hatte, und mit solcher Wucht gegen die Wand geschleudert, dass eines der morschen Bretter zerbrach und in Stücken zu Boden fiel. Halb blind kämpfte sich Andrej ins Freie und sah im Herumdrehen, wie sich Hamed schützend über das Mädchen beugte und es mit seinem Mantel und dem eigenen Körper vor den Sturmböen abschirmte, die durch die aufgerissene Tür ins Haus fauchten. Sofort meldete sich sein schlechtes Gewissen, als ihm klar wurde, dass von Hameds wenigen Habseligkeiten wohl nicht mehr viel übrig sein würde, wenn der Sturm sich gelegt hatte.
Um Luft zu bekommen, musste er das Gesicht aus dem Wind drehen. Der Sturm war immer noch stark genug, um jedwedes Leben auszulöschen, das in seinen Mahlstrom geriet. Vielleicht sogar seines. Hier draußen konnte nichts existieren außer dem tobsüchtigen Sand, der aus Millionen winziger fliegender Schwertklingen zu bestehen schien.
Und gerade als er dies dachte, sah er die riesige Gestalt, die auf dem Dünenkamm stand, dort wo Hamed und er vorhin auf den Sonnenaufgang gewartet hatten, und auf ihn herabblickte, schwärzer als die Nacht und größer und bedrohlicher, als Abu Dun es jemals gewesen war.
Andrej war so verblüfft, dass er auf die nächste Sturmbö nicht mehr rechtzeitig reagierte und niedergeworfen wurde, und als er hustend und den freien Arm schützend über das Gesicht gehoben wieder auf die Knie kam, war die Gestalt verschwunden. Aber er war sicher, nicht bloß einem Trugbild erlegen zu sein, also kämpfte er sich verbissen in die Höhe und Schritt für Schritt die Düne hinauf.
Der Sturm erlosch, als er ihren
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