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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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mitgerissen zu werden.
    »Wir sollten gehen«, sagte Hamed.
    Andrej nickte zwar, rührte sich aber nicht von der Stelle, sondern starrte der näher kommenden Mauer aus zum Leben erwachter Dunkelheit mit klopfendem Herzen entgegen. Dort, wo sie die Strahlen der aufgehenden Sonne berührte, begann sie rauchige Formen in düsterem Rot und dumpfem Braunorange zu bilden, wie dünne tastende Arme, die sich nach dem erwachenden Licht streckten, um es sofort wieder auszulöschen, bevor es stark genug werden konnte, um die Schwärze zu durchdringen. Das dunkle Grollen war nun tatsächlich zu hören und das dumpfe Vibrieren zu spüren. Andrejs Herz schlug schneller. Was er sah, war tausendmal gefährlicher als jeder Drache.
    »Rasch jetzt.« Die Behändigkeit, mit der Hamed auf dem Absatz herumfuhr, und die Schnelligkeit seiner Schritte wollten so gar nicht zu seinem Alter passen. Auch Andrej fand, dass er dem Naturschauspiel genügend Bewunderung gezollt hatte, und beeilte sich, den vermeintlichen Greis einzuholen. Kurz bevor sie das Haus erreichten, sah er noch einmal über die Schulter zum Hügelkamm hinauf; gerade rechtzeitig, um die Welt hinter sich erlöschen zu sehen.
    Einer brodelnden schwarzen Springflut gleich raste der Sturm über die Düne, eine schwarze Wand, doppelt so hoch wie der Himmel und schneller als ein abgeschossener Pfeil, die alles verschlang und zermalmte, was sich in ihrem Weg befand, und sogar die Sonne selbst auslöschte.
    Sie erreichten Hameds Haus wortwörtlich im allerletzten Moment, und auch nur, weil der Sturm selbst sie packte und mit solcher Wucht durch die offene Tür schleuderte, dass Hamed noch zwei oder drei Schritte weiterstolperte und dann auf Hände und Knie fiel. Andrej erging es nicht viel besser. Als er wild mit den Armen rudernd das Gleichgewicht wiedererlangt hatte und sich umwandte, um die Tür hinter sich zu schließen, taumelte er zurück, als glühend heißer Sand sein Gesicht traf und wie tausend winzige Messerklingen in seine Haut und seine Augen schnitt und ihm den Atem nahm. Alles wurde plötzlich rot und schwarz, und der Lärm war so ohrenbetäubend, dass er allein deshalb wohl schon geschrien hätte, wenn ihn nicht ein einziger Atemzug erstickt hätte.
    Er hatte gegen Götter gekämpft – und gewonnen –, und nun sollte er vor einem Windchen kapitulieren? Lächerlich!
    Als er sich schräg gegen den Sturm gelehnt und mit trotzig gesenktem Kopf zum Eingang zurückkämpfte, registrierte er aus den Augenwinkeln eine Bewegung: eine kleine Gestalt in flatterndem Schwarz, die sich der Tür mit schon fast erniedrigender Mühelosigkeit von der Seite her nährte und sie schloss.
    Doch nicht ganz, dann wurde auch sie vom Sturm gepackt und mit solcher Gewalt zurück gegen die Wand geschleudert, dass sie kraftlos daran heruntersackte. Dennoch brachte ihr Beispiel Andrej endlich auf die einzig richtige Idee, den frontalen Kampf mit dem Sturm aufzugeben und stattdessen einen Schritt rücklings und zur Seite zu stolpern, um sich der Tür aus einer anderen Richtung zu nähern. Selbst ihn kostete es fast seine gesamte Kraft, sie gegen den heulenden Sandsturm zu schließen, der sich ihm so heftig entgegenstemmte, als wollte er das dünne Holz unter seinen Händen zerbrechen. Und als es ihm dann endlich gelungen war, sah er sich gleich mit dem nächsten und womöglich noch größeren Problem konfrontiert: Es gab kein Schloss.
    Neben ihm rappelte sich Ayla auf und schleppte einen kurzen Balken heran, der so schwer war, dass sie erhebliche Mühe hatte, ihn als Riegel vorzulegen. Andrej konnte ihr nicht helfen, denn er drückte sich noch immer mit aller Kraft gegen die Tür. Selbst als sie den Riegel verkeilt hatte und er sehr behutsam losließ, war er nicht sicher, ob sie halten würde. Das Haus erbebte wie unter den Fausthieben eines unsichtbaren Riesen, und durch die Ritzen der morschen Tür wehte der Sand herein.
    Ayla sagte etwas – doch er sah lediglich, wie sich ihre Lippen bewegten, denn jedweder andere Laut wurde einfach vom Brüllen des Sandsturms mitgerissen –, gestikulierte mit beiden Armen und drehte sich dann mit einem Ruck weg, um jedoch schon nach einem Moment mit einer dicht geflochtenen Bastmatte von den genauen Abmessungen der Tür zurückzukommen, die sie mit wenigen, geschickten Bewegungen davor befestigte. Erst als sie auf dieselbe Weise mit den Fenstern verfuhr, fielen Andrej die ledernen Scharniere und ihre Gegenstücke an den Bastmatten auf. Ganz offensichtlich

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