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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Kamm erreicht hatte.
    Er ließ nicht etwa nach oder verebbte, sondern hörte von einem Lidschlag auf den nächsten auf, so plötzlich, als wäre er nur ein böser Traum gewesen, aus dem er jetzt aufschrak. Gerade war die Luft noch voller scharfer Messerklingen gewesen, jetzt war sie vollkommen unbewegt und flirrte vor Hitze. Was ihm drinnen im Haus wie wenige Augenblicke vorgekommen war, das musste in Wahrheit eine Stunde gewesen sein, wenn nicht mehr, denn die Sonne stand bereits eine knappe Handbreit über dem Horizont und brachte den Tag zum Kochen. Wo war die Gestalt, die er gesehen hatte?
    Wie um sich selbst davon zu überzeugen, dass er die letzten Minuten auch tatsächlich erlebt hatte, betastete er vorsichtig sein Gesicht und betrachtete anschließend seine Handfläche und Fingerspitzen, an denen Sand und Blut klebten. Es war so still wie stets nach einem besonders heftigen Unwetter, als bräuchte die Natur einen Moment, um sich zu sammeln und wieder in ihren normalen Takt zurückzufinden. Der Sturm hatte komplizierte geometrische Muster im Sand hinterlassen, wie in der Bewegung eingefrorene Meeresbrandung, und er meinte, halb verwehte Abdrücke dort im Sand zu erkennen, wo die Gestalt gestanden hatte.
    Doch als er hinging und die Stelle genauer untersuchte, war da nichts. Hatten ihm bloß seine Nerven einen Streich gespielt?
    Alarmiert richtete sich Andrej wieder auf und sah zum Dorf hinab. Die ersten Bewohner wagten sich aus ihren Häusern, was nicht allen auf Anhieb gelang, denn obwohl die Gebäude aus generationenlanger Erfahrung heraus so angelegt waren, dass die meisten Türen und Fenster auf der dem Wind abgewandten Seite lagen, blockierten die teils wadenhohen Verwehungen, die der Sturm zurückgelassen hatte, die Eingänge oder ergossen sich wie absurd langsam fließendes Wasser ins Innere der Häuser, sobald die Türen geöffnet wurden. In der Ferne war der Khamsin noch immer als gewaltige brodelnde Mauer sichtbar, die über das Land walzte, grotesk schnell und unheimlich lautlos. Wo sie entlangzog, ließ sie nur leer gefegte Wüste zurück, in der sich nichts mehr regte, weil nichts mehr da war, das sich hätte regen können.
    Andrej wandte sich wieder in die andere Richtung – und sah die Reiter.
    Zuerst waren es nur zwei, dann drei und schließlich fünf, die einer Fata Morgana gleich mit flatternden Umrissen aus der Ferne auftauchten und mit derselben trügerischen Langsamkeit näher kamen, wie es der Sturm getan hatte. Um Einzelheiten erkennen zu können, waren sie noch viel zu weit entfernt, doch es schien Andrej, als würden sie auf Kamelen reiten, nicht auf Pferden, was auf Einheimische schließen ließ, nicht auf Süleymans Janitscharen. Vielleicht auch auf die Anhänger des Machdi. Andrej hätte nicht sagen können, was ihm unangenehmer gewesen wäre.
    Er hatte auch nicht vor, lange genug abzuwarten, um es herauszufinden.
    Rasch ging er zum Haus zurück und wurde von Hamed begrüßt, der inmitten eines knöchelhohen Teppichs aus Sand, der Kissen, Teppiche und selbst die Feuerstelle unter sich begraben hatte, auf ihn wartete. Andrejs schlechtes Gewissen meldete sich zurück, als er Ayla erblickte, die auf Händen und Knien hustend durch das Sandmeer kroch und etwas suchte, bisher jedoch vergeblich.
    »Wolltest du den Sturm erschlagen?«, fragte Hamed böse und mit einer zornigen Geste auf das Schwert in seiner Hand.
    »Jemand kommt«, sagte Andrej, statt darauf einzugehen. »Reiter.«
    Das Mädchen hielt für einen Moment mit dem Suchen inne, und tauschte einen erschrockenen Blick mit Hamed, der leicht zusammenfuhr. Wirkte er … ertappt?
    »Wahrscheinlich … sind sie vor dem Sturm geflohen«, sagte Hamed schließlich, eine so offenkundige Ausrede, dass sich Andrej nicht einmal die Mühe einer Erwiderung machte und nur mit einem Schulterzucken zu der einzigen sichtbaren Erhebung, die aus dem Sandozean ragte – Hameds Kiste – ging, sie aufklappte und seinen gesamten verbliebenen Besitz herausnahm, den schmalen Waffengurt mit der kostbaren Scheide, in die Saladins Saif gehörte. Schweigend sah Hamed zu, wie er ihn umband und den schlanken Säbel in die Scheide schob. Erst dann fragte er: »Du willst tatsächlich gehen? Jetzt?«
    »Spricht irgendetwas dagegen?«, wollte Andrej wissen, fast schon feindselig.
    »Nein. Aber iss wenigstens noch mit uns«, erwiderte Hamed. »Du hast noch einen weiten Weg vor dir.«
    »Habe ich den?« Andrej war jetzt selbst ein wenig erstaunt über den

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