Pestmond (German Edition)
herab. »Das ist zu kostbar. Du kennst mich doch gar nicht. Warum willst du einem Fremden ein so wertvolles Geschenk machen?«
»Weil du ein Krieger bist.« Ayla deutete auf das Schwert an seiner Seite.
»Viele Männer tragen ein Schwert«, gab Andrej zu bedenken. »Hat Hamed dir gesagt, ich sei ein Krieger?«
»Ja. Aber er hätte es gar nicht gemusst. Ich hätte es auch so gesehen.« Ayla deutete erneut auf den Saif und machte eine gewichtige Miene, die sie jünger wirken ließ. »Du trägst eine Waffe, wie sie nur ein wirklich großer Krieger führt. Mein Bruder wollte auch ein großer Krieger werden. Er hat immer davon geträumt und oft mit meiner Mutter darüber gestritten. Aber ich weiß, dass er ein tapferer Krieger geworden wäre, wenn er nicht …«
Sie biss sich auf die Unterlippe und fuhr nach einem abermaligen Kopfschütteln leise fort: »Es hätte ihm gefallen, wenn dieses Hemd von einem großen Helden getragen würde. Du würdest ihn damit ehren.«
»Ich kann dieses Geschenk trotzdem nicht annehmen«, beharrte Andrej sanft, aber auch sehr entschieden. »Eines Tages wirst du mir dafür dankbar sein, glaub mir. Es ist das einzige Andenken, das du noch an deinen Bruder hast. Ich bin sicher, dass du irgendwann einen Mann triffst, zu dem es besser passt. Und dem du es lieber schenkst.«
Ayla machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung, aber sie nahm das Hemd immer noch nicht zurück. »Dann zieh es wenigstens einmal an«, sagte sie. »Bitte! Ich möchte nur sehen, wie es an einem richtigen Krieger aussieht. Dann weiß ich, wie es an Mazin ausgesehen hätte.«
»Und wenn ich nun gar kein so großer Krieger bin?«, fragte Andrej, obwohl er sich innerlich schon längst entschieden hatte, ihr diesen kleinen Gefallen zu tun. Schon weil sie vorher ohnehin keine Ruhe geben würde. Resigniert streifte er seinen Mantel ab, schnallte den Waffengurt auf und schlüpfte dann – sehr vorsichtig, um es nicht zu zerreißen – auch aus dem Hemd.
»Hamed hat die Wahrheit gesagt«, sagte Ayla. »Deine Tätowierungen sind hübsch. Wer hat sie gemacht?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Andrej, während er das Hemd ausschüttelte, das sie ihm am ausgestreckten Arm hinhielt. »Ich hatte sie schon, bevor …« Ich zum Unsterblichen wurde? Um ein Haar wäre es ihm herausgerutscht. »Solange ich mich erinnern kann«, sagte er stattdessen.
»Sie sind wirklich hübsch«, sagte Ayla noch einmal. »Bedeuten sie etwas?«
»Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich sollen sie einfach nur gut aussehen.« Andrej schlüpfte in das Hemd. Es kratzte auf der Haut und roch schlecht, doch Ayla schien der Anblick ausnehmend gut zu gefallen, denn in ihren Augen erschien ein Ausdruck großer Zufriedenheit. Fast triumphierend trat sie einen Schritt zurück, um ihn von Kopf bis Fuß eingehend zu mustern.
»Ja, genauso hätte mein Bruder ausgesehen«, sagte sie. »Obwohl …« Sie überlegte einen Moment. »Etwas fehlt noch.«
Bevor Andrej es verhindern konnte, bückte sie sich nach seinem Schwertgurt und zog den Saif aus der Scheide. »Das hier.«
»Sei vorsichtig damit«, sagte Andrej leicht verärgert. »Das ist kein Spielzeug.«
»Jeder Krieger braucht eine Waffe«, beharrte Ayla und machte keine Anstalten, ihm das Schwert zurückzugeben, hielt ihm aber den Gürtel hin. Andrej war inzwischen verstimmt genug, um ihr das Schwert auch mit Gewalt zu entreißen, tat es aber dann doch nicht. So, wie sie die Waffe hielt, hätte die – wenn auch geringe – Gefahr bestanden, sie dabei zu verletzen, und er wollte auch nicht unnötig grob zu ihr sein. Also schnallte er den Gürtel um und streckte fordernd die Hand aus. »Jetzt gib mir das Schwert!«
»Hamed hat recht«, sagte Ayla und machte noch einmal einen halben Schritt zurück, um die Klinge im Sonnenlicht zu bewundern, das durch die Tür hereinfiel. »Es ist wirklich ein sehr schönes Schwert.«
»Und ein scharfes!«, sagte Andrej streng. »Bitte gib es her!«
Ayla nickte zwar, doch statt ihm den Saif zu geben, fuhr sie plötzlich herum und rannte aus dem Haus.
»Ayla!«, rief Andrej. »Komm gefälligst zurück! Und sei vorsichtig, das Schwert ist …«
»Gefährlich?«
Es war nicht Ayla, die das sagte, sondern ein hochgewachsener Mann mit sonnenverbranntem Gesicht und sonderbar kalten Augen, der an ihrer Stelle in der Tür erschien und den Saif in beiden Händen hielt. Er war ganz in Schwarz gekleidet und auf eine Art schlicht, die beinahe schon wieder prachtvoll wirkte, auf jeden
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