Pestmond (German Edition)
Hasan mit einer Geste sofort wieder zum Schweigen gebracht, als Staub und winzige Steinchen vom Klang seiner Stimme angelockt von der Decke zu rieseln begannen. Sehr viel vorsichtiger und darauf bedacht, nicht den geringsten Laut zu verursachen, ging Andrej weiter, während das unwirkliche Licht, das sie umgab, mit dem der Fackel verschmolz.
Nachdem sie eine Treppe erklommen hatten, von der kaum noch jede zweite Stufe vorhanden war, betraten sie eine niedrige Kammer von quadratischem Grundriss. Im flackernden Licht der Fackel schienen die uralten Reliefarbeiten und Bilder an den Wänden zu gespenstischem Leben zu erwachen.
Hasan blieb stehen, bedeutete ihm jedoch mit einer wortlosen Geste, weiterzugehen und sich einem gewaltigen Steinquader zu nähern. Im ersten Augenblick hielt Andrej ihn für einen monströsen Altar, der vorzeitlichen Göttern geweiht war, denn auch seine Flanken waren mit Bildern und Symbolen übersät, von denen ihm manche schon beim Ansehen Unbehagen bereiteten, dann jedoch begriff er, dass es sich um einen gewaltigen Sarkophag handelte.
Er hatte keinen Deckel, und in seinem Inneren lag eine riesige, ganz in Schwarz gekleidete Gestalt mit ebenholzfarbenem Gesicht und nur einer Hand.
»Was … hat das zu bedeuten?«, fragte Andrej mit belegter Stimme. Etwas erwachte in ihm. Etwas, das nicht gut war. Ohne sein Zutun ballten sich seine Hände so fest zu Fäusten, dass seine Gelenke knackten, und etwas stieg in ihm auf, das schlimmer war als bloßer Zorn. Es war ihm unmöglich, den Blick von Abu Dun loszureißen, der so unbegreiflich friedlich in dem steinernen Sarg lag. Jemand hatte sein zerrissenes Gewand durch ein neues und ebenfalls schwarzes ersetzt und den Turban auf die gleiche Art drapiert, wie Andrej es vor zwei Tagen getan hatte. Sein Armstumpf war sauber verbunden, und auf seinen markanten Zügen lag ein Ausdruck, als schliefe er nur. Andrejs Herz schlug immer langsamer und immer schwerer.
»Was … soll das … bedeuten?«, fragte er noch einmal und noch leiser.
Diesmal antwortete Hasan. »Nicht das, was du vielleicht glaubst, Andrej. Egal, was man uns auch nachsagt, wir respektieren den Tod, und wir ehren die Toten.«
Andrej hörte, wie er neben ihn trat, doch als stünde er unter einem Bann starrte er weiter Abu Dun an. Der Schmerz war wieder da und schlimmer denn je, vielleicht, weil der Nubier dalag, als würde er im nächsten Moment die Augen aufschlagen wollen, um sich über die Störung zu beschweren. Aber sein Zorn verrauchte. Hasan sagte die Wahrheit. Seinen toten Freund aus dem staubigen Loch zu holen, in dem er ihn zurückgelassen hatte, hatte nicht dem Zweck gedient, ihn zu verhöhnen. Hamed hatte ihm das Begräbnis zukommen lassen, das ihm gebührte.
»Wir haben euch schon eine ganze Weile beobachtet, deinen Freund und dich«, sagte Hasan. »Ich habe jemanden nach Byzanz geschickt, um euch eine Nachricht zukommen zu lassen, aber Süleymans Einfall mit dem Schiff hat selbst mich überrascht. Ihr wart schon fort und auf halbem Wege in die Wüste, als mein Bote dort angekommen ist.«
Er hatte gewusst, wer Sharif und der Machdi in Wahrheit waren?, dachte Andrej erstaunt. Abu Dun und er hatten es erst begriffen, als es schon viel zu spät gewesen war und die Hölle über sie hereinbrach. Er fragte sich auch, wie viele Menschen noch am Leben sein könnten, wenn Hasan dieses Wissen früher mit ihnen geteilt hätte. Doch er sprach es nicht laut aus.
»Wir beobachten euch schon seit geraumer Zeit«, sagte Hasan noch einmal, »und auch andere wie euch … du weißt, dass es noch mehr gibt?«
»Für so wichtig haben Abu Dun und ich uns nie gehalten, dass wir angenommen hätten, wir wären die Einzigen.«
»Aber ihr geht den anderen aus dem Weg.« Hasan sprach diese Vermutung so aus, als fände sie seinen Beifall. »Das ist erstaunlich, finde ich. Man sollte doch eigentlich annehmen, dass ihr einander sucht, um eure Macht zu vereinen. Gemeinsam könntet ihr unbesiegbar werden, das ist dir doch klar, oder?«
»Macht interessiert uns nicht«, murmelte Andrej.
»Ich weiß«, sagte Hasan. »Wie gesagt: Wir haben euch lange genug beobachtet. Noch ein Grund, warum meine Wahl auf euch gefallen ist.«
»Welche Wahl?«
»Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt«, räumte Hasan ein. »Der Bote, den ich geschickt habe, sollte euch ein Angebot unterbreiten.«
»Das wir abgelehnt hätten«, erwiderte Andrej. »Wir arbeiten nicht für Mörder.«
Hasan nickte langsam. »Außer
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